Von Hans Domizlaff (1892-1971), dem führenden deutschen Markentechniker
der Zwischenkriegszeit, erschien 1932 eine Schrift über Staatssymbole,
in der zu lesen war: „Ein Staat kann nicht auf ein alleingültiges,
psychologisch wirksames Hoheitssymbol verzichten. Ohne eine allgemein
verehrte Flagge sind alle weiteren Propaganda-Mittel und alle materiellen
Hilfen zur Erreichung einer innerhalb der heutigen Welt lebensfähigen
Volksgemeinschaft zur Hoffnungslosigkeit verdammt.“ Die Geschichte
beweise zur Genüge, schrieb er, „dass eine Gemeinschafts-Idee – die
für jede politische innere Propaganda einer Staatsgewalt notwendig
ist – ohne Symbolik als sichtbare Dokumentierung der organischen
Gemeinsamkeit unwirksam bleibt“.
Dass solche Überlegungen vorwiegend in Deutschland gemacht wurden,
hatte seinen Grund darin, dass nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches
die Republik von Weimar in ihren Hoheitszeichen unsicher war. Kaiserliche
Symbole wie der Reichsadler waren noch immer zu sehen, ebenso galt die
aus den preussischen Farben schwarz und weiss entwickelte und um das
Rot aus einer Flottenflagge ergänzte schwarz-weiss-rote Reichsflagge
weiterhin, aber es gab auch Bestrebungen, die eine schwarz-rot-goldene
Fahne in Erinnerung an 1848 und die vorausgegangenen republikanischen
Bewegungen propagierte. Andere wollten, dass das Zeichen des Eisernen
Kreuzes auf den staatlichen Hoheitszeichen in Erscheinung trete – auf
jeden Fall fehlten im Vergleich zu Frankreich eine verbindliche Farbenkombination
oder im Vergleich zur Schweiz ein klares Symbol wie das weisse Kreuz
im roten Feld. (Domizlaff schrieb ausführlich darüber, weshalb
grafische Zeichen wesentlich stärker wirken mussten als blosse trikolore
Farbkombinationen; die grösste Flaggenbegeisterung herrsche ja bekanntlich
in den USA und in Brasilien, und das seien Fahnen mit sogar besonders
komplizierten grafischen Zeichen.)
1927 erschien der zweite Band eines anderen Buches, in dem das deutsche
Hoheitszeichen- und Flaggenproblem kritisch begutachtet wurde. Dort war
zu lesen: „Denn wenn sich auch das deutsche Bürgertum in seinen
besseren Parteien nach dem Jahre 1918 nicht mehr dazu bequemen wollte,
die jetzt auf einmal entdeckte schwarzrotgoldene Reichsflagge als sein
eigenes Symbol zu übernehmen, so hatte man selbst dort der neuen
Entwicklung kein eigenes Programm für die Zukunft entgegenzusetzen,
im besten Fall den Gedanken einer Rekonstruktion des vergangenen Reiches.“ Das
aber war dem Verfasser zuwenig, kam ihm auch als eine Entwürdigung
der alten Reichsfarben vor, und so machte er sich als sein eigener Gestalter
dahinter, ein neues Zeichen zu entwerfern: "Ich selbst hatte
unterdes nach unzähligen Versuchen eine endgültige Form niedergelegt:
eine Fahne aus rotem Grundtuch mit einer weissen Scheibe und in deren
Mitte ein schwarzes Hakenkreuz.“ So Adolf Hitler im zweiten Band
von „Mein Kampf“. Was die Daten anbelangt, so schrieb er: „Im
Hochsommer 1920 kam zum ersten Male die neue Flagge vor die Öffentlichkeit.
(...) Kein Mensch hatte sie vorher je gesehen; sie wirkte damals wie
eine Brandfackel.“
Gedruckt wurde dieser Text 1927 in München, 1923 aber war in Wien
ein ganz anderer publiziert worden, der auf der letzten Seite in folgenden
Zeilen endete: „Das Zeichen, in dem sich die Pan-Europäer
aller Staaten vereinigen werden, ist das Sonnenkreuz: das Rote Kreuz
auf goldener Sonne, das Symbol der Humanität und der Vernunft. Diese
Flagge der Liebe und des Geistes soll einst von Portugal bis Polen wehen über
einem einzigen Weltreich des Friedens und der Freiheit!“ Geschrieben
hatte das Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi (1894-1972), damals
28 Jahre alt. Hakenkreuz-Sonnenkreuz – die Parallelität der
Begriffe war nicht zu übersehen; und wenn Domizlaff in seinen propagandistischen
Reflexionen fast verzweifelt darum bat, zwischen der Psyche eines Individuums
und einer Massenpsyche zu unterscheiden und von der Masse nie ein Zeichen
der Humanität oder der Vernunft zu erwarten, so mochte er vielleicht
an die Formulierungen denken, die sich der österreichisch-böhmische
Begründer der paneuropäischen Bewegung ausgedacht hatte.
Wir wissen nicht, wie Domizlaff das Zeichen, das Coudenhove-Kalergi
entworfen hatte, beurteilte, falls er es überhaupt je sah. Die vollständige
Flagge, wie sie Coudenhove-Kalergi ausgedacht hatte, zeigte ein hellblaues
Feld, in dem etwas nach links gerückt eine goldene Sonne stand,
analog der roten Sonne in der japanischen Flagge; diese heraldisch gelbe
Scheibe war von einem gleichschenkligen roten Kreuz von einer dem dänischen
Kreuz vergleichbaren Dicke bis an den abgerundeten Rand der Sonnenscheibe
durchzogen. Verglichen mit dem Hakenkreuz lag die Schwäche dieser
Fahne in der unsicher definierten Proportion der Scheibe im Verhältnis
zur blauen Fläche und dann darin, dass das ganze Symbol einfarbig
schlecht zu reproduzieren war und eine zu komplizierten Symbolgehalt
hatte.
Der Zweite Weltkrieg, soweit er auch eine Auseinandersetzung unter Symbolen
war, konfrontierte das Hakenkreuz mit Sichel und Hammer und dem sowjetrussischen
Stern; die Farben der alliierten Streitkräfte waren am auffälligsten
präsent in den auf die Flugzeuge gemalten roten, weissen und blauen
Kreiselementen nach dem Muster der revolutionären Kokarden, doch
auf den amerikanischen Panzern waren ebenfalls Sterne zu entdecken. In
der französischen Widerstandsbewegung dominierte gegen Ende des
Krieges das Lothringerkreuz mit dem doppelten Querbalken. Das im Deutschland
des Frühjahrs 1945 am meisten sichtbare Symbol hingegen war die
weisse Fahne der Kapitulation.
Die Nachkriegs-Diskussion über eine Europa-Fahne konnte erst in
dem Augenblick beginnen, als eine Organisation entstand, die sich eine
gesamteuropäische Aufgabe vornahm. Das war der am 5. Mai 1949 eingerichtete
Europarat (mit Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Irland,
Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und Nordirland als Gründungsmitgliedern).
Als sein Standort wurde Strassburg gewählt, seine erste Sitzung
fand im August 1949 unter dem Präsidenten Paul-Henri Spaak statt.
Schon ein Jahr später war im Europarat von einer Fahne die Rede,
aber Spaak sagte: „Unser Bureau hat gar nicht die Macht, ein
solches Problem zu lösen. Es scheint eine ganz einfache Frage zu sein, aber
in Wirklichkeit ist sie äusserst delikat; bei dieser Sorte von Problemen
fällt man auf die Nase. (...) Sie sind pressiert? Sie haben recht
es zu sein, aber hier muss man sich ganz langsam beeilen.“ Und
dann konnte er seine Kollegen dazu verpflichten, dass sie ihm für
jede Sitzung, an der die Flaggenfrage besprochen, aber nicht gelöst
wurde, ein Nachtessen schuldeten.
Zum Aufgabenbereich des Europarates gehörte es, das Ideal einer
europäischen Einheit zu propagieren und die Europäer darauf
vorzubereiten, in Solidarität und Brüderlichkeit zusammen zu
leben. Das bedeutete auch eine systematische Bearbeitung des grossen
Publikums, Aktionen im Hinblick auf die europäische öffentliche
Meinung sollten lanciert werden. Ein europäisches Bewusstsein müsse
geschaffen werden, ein wahrhaft europäischer Geist müsse die
Völker Europas durchdringen. 1949 gehörte Deutschland nicht
zu den Gründungsmitgliedern des Europarates, da es als besiegtes
Land galt; dass aber Strassburg zum Sitz des Europarates gewählt
wurde, konnte man als einen ersten Brückenschlag zwischen den beiden
wichtigsten Nationen Kontinentaleuropas verstehen. Im Sommer 1950 bekam
der Generalsekretär des Europarates die Aufgabe, konkrete Massnahmen
zur Sensibilisierung der öffentlichen Meinung für eine europäische
Union auszuarbeiten; am 23. August 1950 schlug er die Schaffung einer
Fahne vor: „Es scheint nützlich, dass die Idee einer Vereinigung
der Staaten in Europa durch ein Symbol konkretisiert wird.“ Er
wolle dafür besorgt sein, dass der Beratenden Versammlung entsprechende
Vorschläge – darunter natürlich auch das Sonnenkreuz
von Coudenhove-Kalergi – vorgelegt würden. Die Sache eile
insofern, als Enthusiasten sich der Zeichen privater Bewegungen bemächtigen
und Phantasie-Embleme auftauchen könnten.
Zwei denkbare Europafahnen, die schon verwendet wurden, standen im Vordergrund:
das rote Sonnenkreuz in der gelben Sonne vor blauem Hintergrund der Pan-Europäer
und ein grünes E auf weissem Grund der von Duncan Sandys, dem Schwiegersohn
Churchills, präsidierten Europäischen Bewegung. Diese Bewegung
hatte im Mai 1948 in Den Haag einen Kongress abgehalten, für den
sich Sandys eine Fahne ausgedacht hatte: ein rotes E, verschränkt
mit einem weissen liegenden U, womit man die entscheidende Buchstabenkombination
für eine Europäische Union vor Augen hatte. Coudenhove-Kalergi
war über diese Konkurrenz alles andere als erbaut; da sich die beiden
Männer persönlich kannten, ergab sich im Frühjahr 1948
eine leicht geärgerte Korrespondenz. Coudenhove-Kalergi kam nicht
los vom Verdacht, der Buchstabe E könnte für Sandys neben Europa
heimlich auch England bedeuten. Die einzige Änderung, die Sandys
vornahm, bestand darin, dass er die Farbe austauschte, aus dem roten
E wurde ein grünes E, nachdem mangels Wind in Den Haag die schlaffen
Fahnen eher als rote Banner gewirkt hatten. Das grüne E erfreute
sich plötzlich zunehmender Popularität, sehr im Unterschied
zum Sonnenkreuz; es gab sogar schon Briefmarken mit dem grünen E.
Wenn sich der Europarat in Strassburg versammelte, konnte man werblichen
Zwecken dienende grüne E‘s selbst in Schaufenstern entdecken.
In der französischen Nationalversammlung stellten am 20. Juli 1950
nicht weniger als 80 Abgeordnete einen Entschliessungsantrag, es sei
das grüne E in den Rang eines Staatssymbols zu heben, was Paul Levy,
dem Direktor der Presse- und Informationsabteilung im Generalsekretariat
des Europarates, gar nicht gefallen wollte; er sah darin den Versuch
des Abgeordneten Robert Bichet, die Versammlung in Strassburg vor vollendete
Tatsachen zu stellen.
Am 18. August 1950 einigte sich die Beratende Versammlung, dass eine
Europafahne oder ein Europa-Emblem nötig sei, aber dass dafür
weder das Sonnenkreuz Coudenhove-Kalergis noch das grüne E von Duncan
Sandys, beide Zeichen von privaten Bewegungen, tauglich seien. Der frühere
französische Ministerpräsident Paul Reynaud prägte für
das grüne E eine Formulierung, die einem Todesurteil gleichkam:
Es sehe aus wie eine auf einer grünen Wiese ausgelegte Unterhose!
Eine Kommission wurde eingesetzt, die nach einer entsprechenden Verlautbarung
Zusendungen und Vorschläge aus allen möglichen europäischen
Ländern bekam, natürlich auch von Coudenhove-Kalergi und Sandys,
daneben aber von zum Teil ganz unbekannten Leuten. Alles nur Erdenkliche
war schon vorgeschlagen worden: Dreiecke, Streifen, Balken, Kreuze, Lilien,
Löwen und Adler, Lorbeerkronen, Sterne, als Zeichen des Abendlandes
eine untergehende Sonne, die freilich als Symbol für eine aufsteigende
Idee nicht gerade sinnvoll schien.
Im Juli 1951 tagte die Kommission des Europarates in London, sogar öffentlich
im britischen Unterhaus. Sie hatte Heraldiker hinzugezogen und begann
ihre Auswahlkriterien zu definieren. Sie reduzierte die Projekte auf
zwölf, zu denen im Dezember die Beratende Versammlung Stellung nehmen
konnte. (Von 132 Mitgliedern antworteten nur 48.) Das Sonnenkreuz von
Coudenhove-Kalergi machte noch am meisten Stimmen, aber kam nicht über
einen Sechstel hinaus; von türkischer Seite wurde ganz entschieden
Opposition gegen die Verwendung jeglichen Kreuzes hörbar. Nachträglich
kamen noch ein dreizehnter und ein vierzehnter Vorschlag auf die Liste:
Ein in Japan domizilierter Deutscher, Carl Weidl Raymon, schlug einen
einzigen gelben Stern auf blauem Hintergrund vor; Salvador de Madariaga
(1886-1978) wollte verschiedene Sterne mit acht Spitzen auf ebenfalls
einem blauen Hintergrund nach den ungefähren geografischen Standorten
der europäischen Hauptstädte verteilen; Strassburg bekäme,
als Sitz des Europarates, ebenfalls einen und zwar grösseren Stern.
Anfang 1952 rief die Europa-Union Hamburg dazu auf, ihr Entwürfe
für eine neue Europaflagge einzuschicken. In einer Pressekonferenz
vom 16. Juni 1952 wurden die besten Entwürfe präsentiert. Unter
ihnen befand sich einer eines Mitgliedes der Europa-Union in Hamburg,
namens Hanno F. Konopath. Er zeigte auf blauem Hintergrund einen Kreis
von goldenen Sternen, der nach Konopaths Vorstellung der Anzahl Mitgliedstaaten
entsprechen sollte. Nach zuverlässigen Nachrichten lag dieser Entwurf
mindestens dem Sekretariat des Europarats-Präsidenten Spaak vor,
aber die nachgewiesene Urheberschaft Konopaths litt darunter, dass dieser
1931 einen nationalsozialistisch inspirierten Artikel "Ist Rasse
Schicksal?“ veröffentlicht hatte, den man ihm jetzt krumm
nahm. Das Generalsekretariat des Europarates beharrte immer darauf, dass
ihm der Entwurf Konopaths unbekannt geblieben sei.
Sagen wir es so: Weit entfernt von den damals dominierenden weltpolitischen
Ereignissen – dem Korea-Krieg, dem Kalten Krieg in Europa, dem
Tod Stalins, der Präsidentschaft Mao Tse Tungs über die Volksrepublik
China – beschäftigte sich im westlichen Europa ein kleiner,
wenn nicht kleinster Kreis von Eingeweihten mit dem absonderlichen Problem,
wie ein auf Vereinigung tendierendes Europa an Fahnenmasten in Erscheinung
treten könnte. Das war auch eine Kostenfrage, denn natürlich
wäre es billiger, einfach nur eine Europafahne aufzuziehen als vor
einem Kongressgebäude 15 nationale Flaggen zu hissen. Aber es stellten
sich nicht weniger komplizierte politische Fragen – wieviel Sterne
durften auf der Fahne zu sehen sein, nachdem 1953 14 Nationen und als
assoziiertes 15. Mitglied das Saarland im Europarat Aufnahme gefunden
hatten? Für die deutschen Delegierten im Europarat war es klar,
dass die Saar auf keinen Fall als eigenständiges Mitglied gezählt
werden durfte.
Im September 1953 stand die Anzahl Sterne ernsthaft zur Debatte, im
November 1954 traf sich ein Ad-hoc-Ausschuss für ein Europa-Emblem
einmal mehr in Strassburg. Er erwog zuerst acht ineinander verschlungene
goldene Ringe auf blauem Grund als Ausweich-Symbol, das schien aber den
Ministern zu nah beim Olympia-Zeichen zu liegen. Dann beriet man wieder über
die Anzahl Sterne: 14 ging nicht wegen des Saar-Problems, 13 wäre
eine Unglückszahl, zehn würden nur die zehn Gründerstaaten
berücksichtigen. Generalsekretär Léon Marchal schlug
endlich zwölf Sterne vor, und zwar unabhängig von der Anzahl
der Mitgliedstaaten. Zwölf war eine fast perfekte Zahl, entsprach
der Anzahl von Stunden, Monaten und Sternzeichen, den zwölf Aposteln
und den zwölf Stämmen Israels; zwölf war teilbar durch
zwei, drei, vier und sechs. Das Ministerkomitee stimmte zu, und damit
kam die Empfehlung Nr. 88 am 8. Dezember 1955 mit den zwölf Sternen
im Kreis auf azurblauem Grund vor die Beratende Versammlung, die sie
einstimmig annahm. Die Presse wurde am 10. Dezember informiert, und am
13. Dezember, morgens zehn Uhr, liess der irländische Aussenminister
Liam Cosgrave, damals Präsident des Ministerkomitees, vor dem Château
de la Muette in Passy offiziell zum ersten Mal die Europafahne hissen.
Die damalige (und bis heute unveränderte) geometrische Beschreibung
definierte die neue Fahne wie folgt: „Das Emblem besteht aus
einer blauen rechteckigen Fahne, die anderthalbmal so lang wie hoch ist.
Zwölf
in regelmässigen Abständen angeordnete goldene Sterne bilden
einen nicht durch eine Linie sichtbar gemachten Kreis, dessen Mittelpunkt
im Schnittpunkt der Diagonalen des Rechtecks liegt. Der Radius des Kreises
entspricht einem Drittel der Fahnenhöhe. Jeder Stern hat fünf
Spitzen, die auf einer unsichtbaren Kreislinie liegen, wobei der Radius
dieses Kreises einem Achtzehntel der Fahnenhöhe entspricht. Alle
Sterne stehen aufrecht, d.h. mit einer Spitze im rechten Winkel nach
oben und zwei Spitzen auf einer Geraden rechtwinklig zur Fahnenstange.
Die Sterne sind auf dem Kreis entsprechend den Stunden auf dem Zifferblatt
einer Uhr angeordnet. Ihre Zahl ist unveränderlich. Das heraldische
Blau entspricht einem hellen Ultramarinblau. Das heraldische Gold entspricht
einem dunklen Chromgelb.“
Es war aber, wohlverstanden, die Fahne nur des Europarates. Noch 1958,
an der Weltausstellung von Brüssel, hisste die Europäische
Gemeinschaft für Kohle und Stahl, gegründet 1952, eine waagrecht
schwarz-blau geteilte Fahne mit je drei goldenen Sternen in jedem Feld,
und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sowie die Euratom, beide
1957 gegründet, führten überhaupt noch kein Emblem. Die
im Juli 1959 in Paris zusammengerufene Kommission befand, dass die drei
Gemeinschaften für Kohle und Stahl, für die Wirtschaft und
für die Atomenergie zusammen ein eigenes Zeichen haben sollten,
ein Kreis von sechs Sternen auf einem blauen Hintergrund wurde zuerst
vorgeschlagen. In den weiteren Kommissionsverhandlungen tauchte die Frage
auf, wie eine Europafahne rechtlich zu bewerten wäre, wenn zum Beispiel
ein Schiff unter dieser Flagge fahren wollte. Das Europäische Parlament überwies
das ganze Problem 1960 wiederum an eine Kommission, empfahl immerhin
die zwölf goldenen Sterne, auf die sich der Europarat schon festgelegt
hatte.
Zehn Jahre lang tat sich wenig oder nichts. Als zum Beispiel das Deutsche
Fernsehen im Oktober 1961 Leute in Strassburg nach dem Sinngehalt der
Europafahne befragte, hatte die Mehrheit der Strassburger diese Fahne
noch gar nie gesehen. An der Weltausstellung von Osaka 1970 trat die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft noch unter einer Fahne mit sechs
Sternen an. 1973 schuf sich das Europäische Parlament eine eigene
Fahne: Die Buchstaben PE und EP im Zentrum eines Lorbeerkranzes, der
später gegen den Sternenkranz ausgetauscht wurde. Noch einmal sollte
im gleichen Jahr ein von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft
ausgeschriebener internationaler Wettbewerb das Problem einer Europafahne
endgültig lösen. 6'300 Vorschläge wurden aus der ganzen
Welt eingeschickt, die sieben Jurymitglieder, davon vier grafische Spezialisten,
versanken in Arbeit und mussten die Anzahl der Preise von fünf auf
zehn verdoppeln, ohne zu einer eindeutigen Empfehlung zu kommen. Noch
immer war unklar, ob Europa (und dann welche Instanz?) überhaupt
eine Flagge führen sollte; ein Segelschiff „Traité de
Rome“, das mit einer aus den neun Mitgliedländern zusammengesetzten
Mannschaft am Rennen um die Welt teilnahm, zeigte auf seiner Flagge einen
Kreis aus neun menschlichen Figuren, die sich an den Händen hielten.
An den Olympischen Spielen von 1980, so plante man, könnten die
Athleten aus der Europäischen Gemeinschaft vielleicht unter dem
Zeichen eines goldenen E auf blauem Grund einmarschieren, wie es in der
Ausschreibung von 1973 als Entwurf eines Engländers australischen
Ursprungs prämiert worden war.
Die bisherige Unsicherheit schwand, als im November 1979 das frisch
gewählte Europäische Parlament, „entschlossen, der
Europäischen
Gemeinschaft ein Symbol zu geben, mit dem die europäischen Völker
sich identifizieren könnten“, eine Kommission unter der Leitung
von Kai-Uwe von Hassel mit einem Bericht über die ganze Fahnenproblematik
beauftragte. Dieser Bericht formulierte das Problem insofern neu, als
er die verschiedenen und verschieden gewachsenen europäischen Institutionen
unter das Dach eines gemeinsamen Zeichens zusammenzuführen versprach,
womit die ursprünglich vom Europarat angeregte Fahne auch für
die politisch anders strukturierten Europäischen Gemeinschaften
gelten sollte. Am 11. April 1983 wurde im Europäischen Parlament
die Resolution von Hassel angenommen, damit bekam die vom Europarat 1955
verabschiedete Fahne Gültigkeit auch für die anderen Gemeinschaftsorganisationen,
und vor allem sollten nicht mehr „verschiedene Embleme die Zusammengehörigkeit,
die Solidarität und das Gefühl der Einheit“ stören.
Es brauchte noch die Zustimmung des Europarates, seines Ministerrates,
der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlamentes,
des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften, des Europäischen
Gerichtshofes, bis am 26. Mai 1986 in Brüssel die Europafahne als übergeordnetes
Emblem für alle Institutionen der Europäischen Gemeinschaften
(und später der Europäischen Union) offiziell eingeweiht werden
konnte.
Seit dem 8. Dezember 1955 waren mehr als 30 Jahre vergangen, aber die
blaue Fahne mit dem Kreis der zwölf Sterne hatte sich in dieser
Zeit sanft verselbständigt und sich (dank Ortstafelbeschriftungen,
Autokennzeichen und Werbedekorationen) fast unabhängig von den politischen
Weichenstellungen beim Publikum durchgesetzt.
Wappen und Fahnen sind Symbole, Symbole müssen es sich gefallen
lassen, erläutert und ausgedeutet zu werden. Ein Mann, dem die Problematik
einer Europafahne mehr als jedem anderen nahe ging, schrieb im Januar
1969: „Niemand in Europa weiss, dass die vom Europarat eingeführte
Europa-Flagge aus der Apokalypse stammt: der Kranz der zwölf Sterne.“ Dann
zitierte er das zwölfte Kapitel der Offenbarung Johannis: „Ein
grosses Zeichen erschien am Himmel, ein Weib, von der Sonne umkleidet.
Unter ihren Füssen der Mond. Über ihrem Haupt ein Kranz von
zwölf Sternen.“
Coudenhove-Kalergi, der Vater des Sonnenkreuzes, hatte sich in der „Weltwoche“ vom
17. Januar 1969 zum Wort gemeldet. Das Weib der Johannes-Offenbarung
habe sich durch das Mittelalter zur Mutter Gottes mit dem Diadem der
zwölf Sterne über ihrem Haupt gewandelt. Sein eigener Entwurf
einer Europafahne mit dem Sonnenkreuz sei auf dem ersten Paneuropa-Kongress
von 1926 vorgestellt und von zweitausend Teilnehmer akklamiert worden;
beim Versuch Briands, 1929 im Rahmen des Völkerbundes die Paneuropa-Idee
zu verwirklichen, hätte sie „von den Dächern aller Genfer
Hotels“ geweht. Aber das Hakenkreuz habe das Sonnenkreuz verdrängt
und sogar verfemt, erst nach dem Ende des Krieges sei es zum Symbol der
Europäischen Parlamentarier-Union geworden, der die Gründung
des Europarates zu verdanken sei.
Dann schilderte Coudenhove-Kalergi, wie die Europa-Bewegung von Duncan
Sandys (ohne dessen Namen zu nennen) ihr eigenes Symbol mit dem grünen
E auf weissem Grund schuf: „Diese Wahl war unglücklich. Denn
das weisse Negativ dominierte über das grüne E. So entstand
das Abbild einer weissen Unterhose, auf dem Hintergrund einer grünen
Wiese.“ Nicht viel besser sei es dem vorgeschlagenen Emblem der
acht im Kreis angeordneten verschlungenen Ringe ergangen, sie hätten
wie die Wählscheibe eines Telefons ausgesehen.
Laut dem Artikel von Coudenhove-Kalergi favorisierte der Europarat in
den sechziger Jahren nach dem Vorbild der USA Sterne als heraldische
Zeichen, konnte sich aber vorerst über deren Anzahl nicht einig
werden. Aber eine andere Geschichte beschäftigte Coudenhove-Kalergi
mehr: „Damals wollte es der Zufall, dass der Generalsekretär
des Europarates, der Chef der Informationsabteilung sowie der von der
Versammlung gewählte Referent für die Flaggenfrage drei fromme
Katholiken waren. Sie beschlossen, das zwölfsternige Diadem der
Madonna zur Flagge des Europarates zu erheben und damit Europa stillschweigend
unter den Schutz der Muttergottes zu stellen. Natürlich durfte niemand
wissen, dass die künftige Fahne Europas religiösen Charakter
tragen sollte. Sie handelten heimlich und glaubten, damit Europa zu dienen
und zugleich ihrer Religion.“ Die Abstimmung in der Versammlung
kommentierte er: „Alle anwesenden Protestanten, Juden, Mohammedaner,
Atheisten, Sozialisten und Liberalen hatten ahnungslos für das Mariensymbol
gestimmt. Sogar der Vertreter der türkischen Regierung, der sich
so energisch gegen das Symbol des Kreuzes gewandt hatte.“
Carol Lager, die 1995 in einer kleinen Monographie die Entstehung der
Europafahne schilderte, hält von dieser Interpretation durch Coudenhove-Kalergi
nicht viel, ohne sie einfach abzulehnen. Markus Göldner, der 1988
ein gut dokumentiertes Buch über die politischen Symbole der europäischen
Integration publizierte, tritt auf die Vermutungen Coudenhove-Kalergis
gar nicht ein und legt so viele Akten vor, dass dessen Hypothesen unglaubwürdig
werden.
Verschiedene Leute möchten es trotzdem nicht als Zufall betrachten,
dass die Fahne mit den Sternen im Strahlenkranz 1955 gerade an einem
8. Dezember gewählt worden sei, also am Tag der Unbefleckten Empfängnis
Marias (und nicht am 9. Dezember, wie ursprünglich vorgesehen).
Arsène Heitz, der von französischer Seite als Schöpfer
der Fahne mit dem Strahlenkranz der Sterne betrachtet wird, sei „inspiré de
Dieu“ gewesen, und dann zitierte Carol Lager noch eine ganze Reihe
von Artikeln aus der katholischen Presse Frankreichs, die der Europafahne
den marianischen Charakter zu bestätigen schienen. Ihre Konklusion: „Wenn
man weiss, dass die 15 Europarat-Mitgliedsländer nicht alle katholisch
waren, dass es mehr als sechs Jahre Diskussionen brauchte und dass die
schliessliche Entscheidung zufällig am 8. Dezember 1955 fiel, ist
es normal, dass wir etwas Mühe mit der Annahme haben, die eurpäische
Fahne sei auf die eine oder andere Weise religiös inspiriert. Es
sind Zufälle, weiter nichts ...“
Die alte Schweiz vor 1798 kannte zwar schon das Kreuz als gemeinsames
Zeichen, aber es wurde nicht demonstrativ verwendet. Diese Schweiz war
ein Bündnissystem unter Kantonen, ihr Stolz galt den kantonalen
Herrlichkeiten. Der erste gemeinsame Staat, die von den Franzosen befohlene
Helvetische Republik, führte als nationales Emblem eine grün-rot-gelbe
Kokarde und eine trikolore Fahne in den gleichen Farben. Der Bundesbrief,
mit dem sich nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Systems die jetzt
22 Kantone der Schweiz zusammenschlossen, zeigte in seinem Siegel deutlich
erkennbar ein Schweizerkreuz, aber es war noch nicht populär. Es
stand eher neben als über den Kantonswappen. Nur langsam machte
es seinen Weg auf militärischen Armbinden, später auf Truppen-
und Vereinsfahnen; dann sah es sich adoptiert von der Politik des radikalen
Freisinns. Die Truppen General Dufours dienten im Sonderbundskrieg von
1847 unter der roten Fahne mit dem weissen Kreuz; nach der Gründung
des Bundesstaates von 1848 wurde das Schweizerkreuz das offizielle und
gefeierte Emblem eines neuen Staates. So betrachtet dauerte es 50 Jahre,
bis der Bundesstaat der Schweizerischen Eidgenossenschaft Flagge zeigen
konnte. Seit den ersten Debatten im Europarat über ein europäisches
Emblem dauerte es ebenfalls ein halbes Jahrhundert, bis das Europa-Wappen
zum Beispiel auf Autonummern sichtbar wurde.
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