Keine Medienwissenschaften ohne Mediengeschichte.
Mediengeschichte wird dann am spannendsten, wenn man entdeckt, dass sich
entscheidende Etappen dieser Geschichte in der eigenen Stadt und sogar
an der gleichen Universität vollzogen haben, in der jetzt Medienwissenschaften
und Mediengeschichte gelehrt werden.
Von Basel heute als einer „Medienstadt“ zu reden, ist mehr
Postulat als Berichterstattung. Presse, Fernsehen, Film und weitere elektronische
Medien haben ihre Schwerpunkte an anderen Orten; Basel verwaltet im besten
Fall noch Teilbereiche. Das reicht nicht zur Qualifizierung als Medienstadt.
Das gilt für die Gegenwart, doch in der Vergangenheit sah es anders
aus. Die Erfindung, mit der man die sogenannte Neuzeit beginnen lässt,
nämlich der Buchdruck, wählte Basel als eine der zwölf
Pionierstädte, in denen das Werk Gutenbergs weiterentwickelt und
in die Welt hinaus vermittelt werden sollte. Der Wagemut und die Eleganz,
mit der sich Basel damals als Medienstadt etablierte, trug nicht nur
geistig reiche Früchte, sondern schuf erheblichen Wohlstand.
Der Buchdruck aber ist – mediengeschichtlich gesehen – nur
ein Phänomen unter vielen. Er sollte uns nicht den Blick auf ganz
andere Entwicklungen verstellen. Es gibt Zeitpunkte und Umstände,
da in der Art der Informationsvermittlung aus technischen und systembedingten
Gründen plötzlich Verhältnisse entstehen, die zu neuen
Verfahrens- und Verhaltensweisen führen. Das gibt Modernitätsschübe,
deren Bedeutung sich meistens erst im Rückblick enthüllt.
Ich nenne sie hier mediengeschichtliche Schnittstellen – Schnittstellen
zwischen verschiedenen Epochen, verschiedenen Nutzungsweisen und auch
zwischen den Geräten und den sie benutzenden Menschen. An solchen
Schnittstellen ist Basel historisch reicher, als man denkt. Die allgemeine
Basler Stadtgeschichte ist durch Jahrhunderte sorgfältig aufgearbeitet:
Christian Wurstisen, Daniel Bruckner, Peter Ochs, Markus Lutz, Rudolf
Wackernagel, Andreas Heusler, Paul Burckhardt, René Teuteberg – aber über
die Medien findet sich, mit Ausnahme des Buchdrucks, nicht allzuviel.
Nicht weil sich wenig ereignete, sondern weil eine Stadtgeschichte aus
medienspezifischen Gesichtspunkten erst geschrieben werden kann, nachdem
sich Mediengeschichte als Disziplin im Bewusstsein verankert hat. Das
geschah – die Geschichte des Buchdrucks noch einmal ausgenommen – erst
in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, angeregt von Marshall
McLuhan (1911-1980). Es ist also nicht verboten, die alte Druckerstadt Basel
nach weiteren mediengeschichtlichen Schnittstellen abzufragen. Wer weiss,
ob sich da nicht einige Themen für Lizentiats- oder Doktorarbeiten
verstecken?
1. Warum ist Basel eine Humanistenstadt?
Rudolf Wackernagel sagte vom Humanismus: „Die Anfänge dieses
Wesens in Basel sind uns nicht bekannt. Sie verlieren und verhüllen
sich in tiefen persönlichen Erlebnissen.“ Humanismus als eine
geistig-moralische Haltung, gelegentlich auch nur als ein intellektuelles
Gehabe, lässt sich auf jeden Fall nicht denken ohne Kenntnis des
Lateins und bald einmal auch des Griechischen. Er ist zugleich historisch
orientiert, insofern er immer die Frage nach dem Herkommen stellt.
Die Statue des Lucius Munatius Plancus im Basler Rathaushof von 1580
ist ein (spätes) Dokument dieses humanistischen Weltverständnisses.
Sie gilt dem Gründer von Augst, der Augusta Raurica, was sich aus
einer Grabinschrift im italienischen Gaëta ablesen lässt. Die
sachliche Merkwürdigkeit besteht darin, dass die Statue dieses Stadtgründers
in einer Stadt steht, die mit der vom römischen Statthalter in Gallien
gegründeten Stadt nicht identisch ist. Also muss sich schon vor
1580 ein Verständnis herausgebildet haben, nach dem Basel als Nachfolge-
und Tochterstadt des römischen Augst zu gelten begann. Wie sie das
wurde, warum sie es wurde, welche Kräfte da ins Spiel kamen, sind,
um Wackernagel zu zitieren, unbekannt.
Suchen wir eine mediengeschichtliche Erklärung: Die zusammengefallene
und durch Jahrhundert wieder vom Humus überwachsene, ursprünglich
römische Veteranenstadt, die sich dann den über den Rhein nachstossenden
Alemannen nicht länger erwehren konnte, war durch lange Zeiten so
etwas wie ein Steinreservoir. Es war ein von Menschen angelegter Steinbruch.
Wer nach schon zugeschnittenen Steinen suchte, fand sie am leichtesten
in Augst. Häufig fand er sie mit Resten von Inschriften, Wort- oder
Buchstabenfragmenten. Da Augst oberhalb von Basel lag und Steine schon
im Mittelalter am liebsten auf Schiffen transportiert wurden, darf man
sich so etwa wie einen Baumaterialtransport rheinabwärts vorstellen.
Zu den „persönlichen Erlebnissen“ Wackernagels könnte
es gehören, dass des Lesens kundige Leute ganz einfach wissen wollten,
was auf diesen Steinen geschrieben stand. Also begannen sie Latein zu
lernen. Das ist der Anfang des Humanismus in einem ganz praktischen Sinn.
Im Bereich des alten Humanistischen Gymnasiums und des Schulhauses zur
Mücke am Münsterplatz befindet sich unter der Erde ein sogenanntes
Lapidarium. Es ist ein Kellerraum, in dem römische Altertümer
von durchschnittlicher Bedeutung gelagert sind; auf jeden Fall befinden
sich unter ihnen auch aus Augst stammende römische Schriften. In
dem Augenblick, da Basel als die Nachfolgestadt von Augst zu gelten begann
und die Neugier wissen wollte, was auf den aus Augst herantransportierten
Steinen geschrieben stand, sehen wir einen Wissensdrang am Werk, der
die Tür zu einem humanistischen Weltverständnis öffnet.
Und wir begreifen auch, weshalb die Majuskeln der römischen Capitalis
im Buchdruck zur Antiqua wurden – möglicherweise auf dem Umweg über
Venedig.
Ganz banal gesagt: Ohne die römischen Trümmer von Augst und
die auf ihnen befindlichen Schriftfragmente wäre Basel nicht zu
einer Stadt der humanistischen Gelehrsamkeit geworden. Das ist nicht
zuletzt ein medialer Vorgang.
2. Medien brauchen eine Szene
Was meint der heute gebräuchliche Ausdruck „Szene“?
Er meint eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft, aber von dieser
durch ein paar Merkmale deutlich geschieden: Es sind jüngere, spontan
agierende, andersartige Leute mit anderen Zielsetzungen. Sie wollen nicht
in den etablierten Geleisen Karriere machen, kümmern sich nicht
um politische Schaltstellen oder etablierte Wertvorstellungen. Sie kommen
häufig von aussen, lassen sich an einem bestimmten Ort erst einmal
vorläufig nieder, wollen schauen, was für Möglichkeiten
sie entdecken. Sie wollen auch Geld machen.
Wir alle haben solche Szenen am Werk gesehen – die Filmszene,
die Fernsehszene, die Computergrafikszene, die Internetszene, dazu die
Jazz-, Pop- und Rockszene. Wir konnten beobachten, wie solche Szenen
auf Umwegen oder im Direktlauf gesellschaftliche Anerkennung finden.
Von da haben wir gelernt, dass die charakteristischen Merkmale einer
Szene in der Anfangs- und Reifeperiode erheblich differieren.
Die mediengeschichtlich wichtigste Szene entwickelt sich um Gutenberg in Strassburg und Mainz. Der Übergang der Werkstatt Gutenbergs an
den Geschäftskollegen Fust führte dazu, dass sich die Gesellen
Gutenbergs im oberrheinischen Raum zerstreuten und mit ihrem Wissen Örtlichkeiten
und Gesellschaftsräume progressiv infiszierten. Voraussetzungen
für den Buchdruck waren die Techniken des Metallschnitts, des Gusses,
des Baus von Pressen, des Papiers, des Einfärbens und einer frühen
kapitalistischen Wirtschaftsweise. Kapitalistisch insofern, als Geräte,
Lettern, Papier und der ganze Arbeitsaufwand vorfinanziert sein mussten,
weil das fertige Produkt, eben das Buch, erst dann vermarktet werden
konnte, wenn es abgeschlossen vorlag. Das brauchte Zeit. Diese Schwierigkeiten
der Vorfinanzierung führten zu manchmal reichlich spekulativen Gesellschaftsgründungen
mit Anteilen, über deren Wert die alten Druckherren heftig streiten
konnten.
Den frühen Basler Buchdruck und seine Anfänge kennen wir aus
einer neuen Publikation, in der die Standortfaktoren und ökonomischen
Voraussetzungen für die Etablierung des Buchdrucks in Basel genau
evaluiert werden. Wir wissen, dass dank Berthold Ruppel aus Hanau, Bernhard
Richel aus Ehenwiler und Michael Wenssler aus Strassburg die Basler Buchdruckszene
zwischen 1468 und 1473 begann. Ruppel war nachweisbar ein Geselle Gutenbergs
in Mainz.
Die Diffusionszeit eines Mediums – denken wir an das Fernsehen
oder an das Internet – von der technischen Reife bis zur Akzeptanz
im Publikum liegt ungefähr bei 15 Jahren. Spätestens 1454 liegt
bei Gutenberg das ausgereifte typografische Wissen vor. Aber schon 1471
inszenieren Druckergesellen in Basel einen ersten Streik, gegen den der
Rat einschreiten muss. Denn diese Gesellen eines neuen Berufes sind dem
Zunftwesen noch nicht unterstellt. Wie sie ihren Streik begründen,
macht sie als eine Gruppierung ausserhalb der etablierten Gesellschaft
kenntlich – sie bilden eben eine Szene. Wir dürfen sie als
intellektuelle Handwerker und wissenshungrige Bastler verstehen, sicher
führten sie auch ihre eigene Fachsprache.
Pierre Van der Haegen kommt das Verdienst zu, die Anfänge des Buchdrucks
in Basel in jedem einzelnen Schritt nachgewiesen zu haben; die von Frank
Hieronymus ausgearbeiteten Kataloge der frühen Basler Drucke lassen
die Blüte der Druckkunst in Basel im 15. und 16. Jahrhundert in
ihrer ganzen und fast bestürzenden Pracht erscheinen. Aus ihnen
ist abzulesen, wie sich die anfängliche Typografenszene in die dominierende
Stadtgesellschaft integrierte, doch wie sie sich qualitativ verwandelte,
wäre noch zu erforschen.
3. Ein Datenmanager
Die Rede ist von Heinrich Pantlin, lateinisch Henricus Pantaleon, geboren
1522 und gestorben 1595. Er ist der Sohn eines zugewanderten Schneiders
und beschliesst sein Leben als von Kaiser Maximilian gekrönter Dichter,
Professor der Universität und Autor von auflagenstarken Büchern.
Uns interessiert er hier als Verwalter von medialen Beständen und
als Realisator neuer medialer Formen.
Sein Lebenslauf zeigt einen heftigen Wechsel zwischen Theologie, Medizin,
einer Professur der Rhetorik und publizistischer Tätigkeit. Seine
Karriere verfolgt er mit einem gewissen Opportunismus und weiss seine
Vorteile zu nutzen. Dank Widmungen von Büchern krönt ihn Kaiser
Maximilian zum „poeta laureatus“, mit welchem Titel die Erlaubnis
als Notar zu handeln verbunden ist. Also sehen wir Pantaleon in seinen
späteren Jahren Testamente indossieren.
Wichtig als Schnittstelle wird er durch seine Arbeit für die Universität
oder besser: die Universitätsbibliothek. Um 1556 schliesst er seinen
Catalogus Bibliothecae oder Ordo im Manuskript ab, das erhalten geblieben
ist. Es ist das frühste oder eines der frühsten Verzeichnisse
der universitären Bücherbestände. Der Zettelkasten als
Ordnungsinstrument ist noch nicht erfunden, Pantaleon trägt die
inventarisierten Bücher auf grossen Seiten ein. Er überlegt
sich, wie die Bücherbestände überhaupt zu ordnen sind.
Zuerst trennt er einmal Manuskripte und gedruckte Bücher, dann schafft
er für die Bücher Gruppen (wir würden heute von files
sprechen), die er mit Theologie, Jurisprudenz, Medizin und weiteren Disziplinen
bezeichnet. Er stellt sich auch die Frage, welche Daten pro Buch in das
Verzeichnis aufgenommen werden sollen, und entschliesst sich für
Druckjahr, Autor, Werktitel, Druckoffizin. Eine Signatur kennt er noch
nicht, aber es besteht kein Zweifel, dass seine Ordnung die zusammengewürfelten
Bücherbestände der Universität erstmals deutlich gegliedert
und damit verwaltungsfähig gemacht hat.
Sein Ehrgeiz und vielleicht auch ein wenig seine Eitelkeit haben ihn
dann eine neue Art von Buch erfinden lassen. Es kam 1567 unter dem Titel „Prosopographia
heroum atque illustrium virorum totius Germaniae“ und auf Deutsch
als „Teutscher Nation Heldenbuch“ heraus. Schon diese Ausgaben
in zwei verschiedenen Sprachen lassen vermuten, dass beide Bücher
ein Absatzerfolg waren. Heute müsste man sie auf der einen Seite
als historisch-biografisches Lexikon bezeichnen, eine modernere Definition
wäre ein „Who ist Who“, also ein Buch über die
Prominenten früherer Zeiten und der Gegenwart.
Wir wissen, dass Pantaleon in Basel sein Pferd sattelte und rheinaufwärts
Richtung Österreich und Süddeutschland davonritt, um berühmte
Zeitgenossen zu besuchen und über sie Daten zu sammeln, um daraus
Kurzbiographien zu schreiben. Wir dürfen auch annehmen, dass die
aufgesuchten Prominenten sich meistens erkenntlich zeigten, Public Relations
sind nicht gratis.
Amerbach, Froben, Cratander, Oporin etc. waren klassische Basler Drucker,
zugleich eben auch Verleger. Der eine bis zwei Generationen jüngere
Pantaleon hingegen war eher ein Medienmann und ein Manager, der instinktiv
begriffen hatte, dass mediale Botschaften auch verwaltet werden müssen.
Viel Neues ist ihm dabei gelungen, aber manches ist auch missraten: Die
Personenregister in seinem Heldenbuch sind merkwürdigerweise nach
den Vor- und nicht den Nachnamen geordnet, so dass sich der Leser durch
endlose Spalten von Heinrichen und Johannes durchquälen muss. Aber
immerhin: Ohne Index wollte er sein Buch nicht publizieren.
4. Die Herstellbarkeit von Öffentlichkeit
1789 bricht in Frankreich und in Paris die Revolution aus. 1798 wird
die Schweiz ebenfalls revolutioniert, aber zugleich von den Franzosen
besetzt. Es gibt keine Untertanen mehr, keine privilegierten Familien,
keine geistlichen Herrschaften. Dafür zum ersten Mal eine gesamtschweizerische
Regierung. Basel ist der erste Stand in der Eidgenossenschaft, der das
alte Regiment abschafft und den Bürgern auf der Landschaft die Gleichberechtigung
gewährt. Nach der Abdankung der bisherigen Behörden wird im
ganzen (noch ungeteilten) Kanton eine 60köpfige Nationalversammlung
gewählt, die sowohl als Regierungskommission wie als Verfassungsrat
tätig wird.
Es entsteht eine neue Art von Öffentlichkeit. Sie entsteht dadurch,
dass die Nationalversammlung öffentlich tagt, das heisst, dass zum
ersten Mal Leute von der Strasse in den Ratssaal sitzen und zuhören
dürfen. (Der Ratshausdiener muss sich überlegen, wie er die
gewählten Mitglieder vom Publikum trennt, er spannt einfach ein
Seil.) Das Ergebnis der Debatten geht alle Leute etwas an, also ist es
auch sinnvoll, wenn die Protokolle der Nationalversammlung gedruckt werden.
Was braucht es dazu? Aufgeweckte junge Leute, die sich die Sachen notieren,
und dann einen Drucker, der sie druckt. So wird, was der Rat beschliesst,
jetzt öffentlich.
Früher waren die Ratsversammlungen immer geheim, es konnte auch
noch „Hehl“ geboten werden, und das hiess, dass kein Mitglied
des Rates den Verhandlungsgegenstand und die Entschlüsse weitergeben
durfte. Jetzt aber, nach der Staatsumwälzung, sollten die Debatten
frei zugänglich sein. Und so erschienen die Sitzungsprotokolle der
Nationalversammlung als „Verhandlungen und Beschlüsse der
konstituirten Baslerischen National-Versammlung“ im Druck, und
wer sich für diese interessierte, konnte sie sogar abonnieren.
Hier interessieren die Drucker, ohne deren Mitarbeit diese neue und
durchaus politisch verstandene Öffentlichkeit gar nicht hätte
entstehen können. Es sind Johann Jakob Flick (1745-1818), Samuel
Flick (1772-1833), Wilhelm Haas der Vater (1741-1800) und Wilhelm
Haas der Sohn (1766-1838). In ihrem Umfeld finden wir den Kunstverleger und
Kunsthändler Christian von Mechel (1737-1817), den Maler und Kupferstecher
Marquard Wocher (1760-1830), der als der Grafiker gelten darf, der der
Helvetischen Republik das Erscheinungsbild mit der Vignette des Tells
und seines Sohnes schenkte. Auch das gehörte zur neuen Öffentlichkeit:
dass die frisch gegründete Helvetische Republik von allem Anfang
an über eine „Corporate Identity“ verfügen sollte,
wozu noch die helvetische Trikolore mit den Farben grün-rot-gold
gehörte.
Die fünf Jahre von 1798 bis Ende 1802 zeigen mediengeschichtlich
eine völlig neue vielversprechende Situation. Vater und Sohn Flick
sind letztlich jakobinisch gesinnte Drucker, deren Erzeugnisse nicht
nur in Basel, sondern auch im Elsass und in Süddeutschland eine
wachsende Rolle spielen. So stammt der erste „Entwurf einer
republikanischen Verfassungs-Urkunde, wie sie in Deutschland taugen möchte“ aus
der Offizin von Flick (und wurde erst in den sechziger Jahren von Heinrich
Scheel an der Akademie der Wissenschaften der DDR publiziert). Die Stiche
von Marquard Wocher zierten sämtliche offiziellen Dokumente der
Helvetischen Republik. Vater Haas dagegen war mehr technisch interessiert
und entwickelte die erste Druckerpresse aus Eisen. Haas der Sohn schuf
Landkarten nach der typometrischen Methode, das heisst, dass Grenzen,
Flüsse, Berge und Siedlungen mit vorfabrizierten typografischen
Elementen aus dem Setzkasten dargestellt wurden. (Napoleon, zu dessen
Leidenschaften es gehörte, Grenzen quer durch Europa gelegentlich über
Nacht zu verschieben, schwärmte für diese typometrische Methode
und lud Herrn Haas nach Paris ein.)
Die Lebenserinnerungen von Haas dem Sohn, die handschriftlich auf der
Universitätsbibliothek als Eigentum der medienwissenschaftlichen
Fakultät erhalten sind, zeigen die Weite des Horizontes, vor dem
die damaligen Typografen in Basel technisch, organisatorisch und gestalterisch
arbeiteten. Es war die Zeit einer eigentlichen Hochblüte, die dann
wieder in einen Dämmerzustand versinken musste, als der erste Konsul
Napoleon der Schweiz die Mediationsverfassung aufzwang, die aus der Einheitsrepublik
abermals einen kantonalen Staatenbund machte. Die neu gewonnene und neu
geschaffene Öffentlichkeit wurde schon dadurch zerstört, dass
die Basler Behörden nach dem Ende der Mediationszeit feierlich beschlossen,
dass in Basel überhaupt keine Zeitung mehr publiziert werden sollte.
Da hatte es sogar Aarau mit dem „Schweizer-Boten“ von Heinrich
Zschokke besser, und Zürich stand im Bann der „Neuen Zürcher
Zeitung“.
5. Die Foto wird salonfähig
Wir sind im Jahr 1874. In den Salons ist die Foto schon akzeptiert;
bekannte, berühmte und wichtige Leute lassen sich gern fotografieren.
Dieses neue Bildmedium ist aus den Daguerreotypien seit den dreissiger
Jahren des 19. Jahrhunderts herausgewachsen, nach 1850 taucht die eigentliche
Fotografie auf, bei der von Negativen positive Bilder belichtet werden
können.
Wir kennen einen Basler, der sich schon 1843 in Paris selber in einer
Daguerreotypie abbilden lässt. Es ist geradezu versessen auf Fotografien,
weil seine ganze Tätigkeit sich mit Bildern befassen muss. Er gilt
sonst nicht gerade als der Inbegriff eines modernen Mannes, aber für
Fotografien ist ihm jeder Kontakt willkommen. In Dornach bei Mülhausen
gibt es einen Geschäftsmann Braun, der von Fotografien etwas verstehen
soll, mit dem setzt er sich in Verbindung. In den grossen Kulturstädten
wie Rom, Turin, London, Paris und Amsterdam etablieren sich seit der
Mitte des Jahrhundert eigentliche Fotohändler, diese pflegt er eifrig.
Bei seinem Schreiner lässt er sich Transportkisten konstruieren,
in die sich Mappen mit Fotografien ablegen und dann versenden lassen.
Es gibt das berühmte Bild von Jacob Burckhardt vor dem Münster,
die grosse Mappe (mit Reproduktionen) unter dem Arm. Burckhardts Nachfolger
in der kunstgeschichtlichen Professur, Heinrich Wölfflin, hat beschrieben,
wie Burckhardt sein fotografisches Material vor den Bänken stehend
demonstrierte. Er hielt Blatt um Blatt an zwei Ecken, um dann nach geschehener
Erklärung die Bilder zum Zirkulieren den Hörern in die Hand
zu geben.
Diese stillschweigende Einführung der Fotografie in den universitären
Unterricht gewinnt dann erst ihre ganze Bedeutung, wenn man sich Rechenschaft
gibt, dass vorher Abbildungen von Kunstwerken in der Regel immer von
Kupferstechern stammten. Mit Friedrich Weber (1813-1882) besass Basel
einen solchen von internationalem Ruhm. Die Gattin Napoleons III., die
Kaiserin Eugénie, fühlte sich von ihren Hoffotografen nie
richtig bedient, erst ein Stich von Friedrich Weber mit ihrem Porträt
fand Anerkennung. Für Burckhardt jedoch war die Authentizität
sogar einer kontrastarmen Fotografie wichtiger als die Eleganz und Accuratesse
eines Stichs. Und somit wurde der konservative Burckhardt zum ersten
Fotopionier der Universität.
6. Radio ist angewandte Physik
Das Radiowesen in der Schweiz beginnt 1924 als Radio-Telegrafie und
Radio-Telefonie. An ihrer Wiege oder ihrem Taufstein steht der Basler
Hans Zickendraht (1881-1956). Ich habe ihn noch selber als Lehrer am
Humanistischen Gymnasium erlebt; er fiel uns Schülern zur Zeit des
Zweiten Weltkrieges durch seine gepflegten Gamaschen auf. 1940 schrieb
Zickendraht einen Tätigkeitsbericht über die 25 Jahre Abteilung
für angewandte Physik, die er leitete. Am Anfang befasste sie sich
noch mit Aerodynamik, nach 1928 wendete sie sich den Schwerpunkten Nieder-,
Mittel- und Hochfrequenzlehre zu, also der Radiotechnik.
Schon 1917 begannen die Arbeiten an einer eigentlichen Radiostation
im Bernoullianum. Die Elektronenröhren lieferte eine Firma Klingelfuss.
1918 gelang die Übertragung von Tönen einer Musikdose, 1920
wurden von Basel aus radiotelefonische Gespräche mit einer Gegenstation
in Neuenburg geführt. 1923 begann das Rundspruchwesen in der Schweiz
Fuss zu fassen, obwohl noch keine Station zu senden begonnen hatte. Im
Basler Zeughaus befanden sich die Sendemasten für den Flugplatz
Sternenfeld, die Zickendraht zu nutzen verstand; ab 1924 folgten radiophonische
Emissionen während der Mustermesse dank den 40 Meter hohen Antennen
beim Physikgebäude an der Klingelbergstrasse.
Zickendraht war schon 1925 Mitglied der Union Internationale de Radiophonie,
1929 hielt er Referate am Kings College in London über die wissenschaftlichen
Hintergründe des Radiowesens in der Schweiz. Zickendraht war als
Sohn eines Musikers selber hoch musikalisch; er sah voraus, dass Musik
der Hauptinhalt des Radios werden müsse.
Dank ihm spielte die Universität Basel bei der Einführung
des Radios als neues Medium eine führende Rolle, wie sie es – vergleichsweise – beim
Buchdruck gerade nicht gespielt hatte.
7. Das vorletzte neue Medium
Für den Telegrafen, für den Funkverkehr, für das Radio
interessierten sich von allem Anfang an die Armee und die Bundesbehörden,
und die Schweiz verfügte über Funk- und Radiogeräte, die
im Land selber entwickelt worden waren. Beim Fernsehen war das nicht
mehr der Fall; aus dem Blickwinkel des Militärs handelte es sich
hier mehr um Filmtechnik und Theaterwesen. Nur die Schweizerische Rundspruchgesellschaft,
die die Zuständigkeit für das Radio gewonnen hatte, wollte
auch eine Fernsehgesellschaft werden.
Im TV-Bereich war die Schweiz eher ein Nachzügler. 1952 verfügten
schon zahlreiche europäische Länder über eigene Fernsehprogramme.
Die ETH Zürich führte Fernsehdemonstrationen durch, Lausanne
richtete einen Experimentalbetrieb ein. Private Initianten und der Radiodirektor
Fritz Ernst vom Studio Basel kämpften dafür, dass auch in der
Region Basel ein Versuchsbetrieb aufgenommen wurde.
Bis 1935 hatte der Maschinenbauer BBC Lokomotiven in Münchenstein
produziert, dann wurden Produktionsstätten im Raum Baden zusammengelegt.
In die leeren Gebäude zogen die Kern-Film AG und die Tonfilm Frobenius
AG ein. August Kern (1902-1996) stellte die Studios gratis zur Verfügung,
von Philips kamen gratis Bild- und Tonsender sowie Verstärkeranlagen.
Der Sendemast stand auf der Gempenfluh, wo eine Frau Vögtli sich
um das Wohl der Techniker und Gäste kümmerte. Nicht weniger
als 44 sogenannte Fernsehstuben wurden eingerichtet, in der Realschule
Therwil, im Feuermagazin Muttenz, im Gaswerk Basel, in verschiedenen
Gemeindehäusern, da es noch keine individuellen Fernsehzuschauer
gab. Fritz Ernst leitete die Versuche, Programmleiter war Heiner Gautschy,
der sich in New York das entsprechende Rüstzeug geholt hatte. Margrit
Rainer und Ruedi Walter bestritten als Schauspieler grosse Teile des
Programms.
Die Versuchsserie dauerte vom 18. Mai bis zum 12. Juli 1952. Die Kantone
Basel-Stadt und Basel-Landschaft beschlossen zur Finanzierung des Versuchsbetriebes
50'000 und 20'000 Franken. In der Stadt ergriffen Studenten das Referendum
gegen diese Beschlüsse, am 2. März 1952 wurden sie verworfen.
Und das bedeutete, dass nach acht Wochen die privaten Mittel aufgebraucht
waren. Ein anderer Versuchsbetrieb etablierte sich in Zürich und
wurde mit mehrfach grösseren Mitteln von Seiten der Behörden
unterstützt.
Was in Münchenstein bei Basel vor mehr als 50 Jahren produziert
wurde, lässt sich nicht mehr studieren, da keine Aufzeichnungen
gemacht wurden. Für diese Fernsehversuche interessierte sich keine
Abteilung für angewandte Physik der Universität, und bei den
Geisteswissenschaften wurde Fernsehen bestenfalls als eine aus Amerika
stammende Modeerscheinung begriffen. Verglichen mit den Anstrengungen
von Zürich und Genf war der politische Wille zur Realisierung des
Fernsehens schwach; das Monopol der SRG verhinderte es, dass die damals
noch zahlreichen Presseorgane überhaupt darüber nachdenken
wollten, wie sich die Informationsarbeit in der Presse mit derjenigen
der TV verbinden liesse.
Bis Verlagshäuser begriffen, dass Print, Radio und Fernsehen unter
dem gleichen Dach gedeihen können, brauchte es noch einmal ein halbes
Jahrhundert.
8. Noch ganz andere Schnittstellen
Die historische Medienstadt Basel hätte noch mehr zu bieten:
Mediengeschichtlich interessant sind die zur Konzilszeit in der Kartause
deponierten griechischen Manuskripte der oströmischen Konzilsteilnehmer,
die nachher in der Blütezeit des Buchdrucks ediert wurden.
Eine am Oberrhein auffällige Entwicklung ist das Aufkommen des
Holzschnittes am Ende des 15. Jahrhunderts; Sebastian Brant findet in
der Basler Szene für die Illustrationen seines „Narrenschiffs“ den
jungen Albrecht Dürer.
Die Humanisten des 16. Jahrhunderts entdeckten, dass man mit gedruckten
echten oder fingierten Briefwechseln gewisse Debatten entscheidend beeinflussen
konnte.
Im 17. Jahrhundert finden wir in Basel den von Ludwig König (geb.
1595) gegründeten Grossverlag, der von seinem Sohn Emanuel und seinem
Enkel Emanuel weitergeführt wird. Zum ersten Mal nimmt sich eine
gelehrte Verlegerfamilie ganz bewusst der Trivialliteratur, der Koch-
und Haushaltsbücher an.
Der aus Preussen stammende Heinrich Zschokke (1771-1848) wird im Herbst
1800 helvetischer Regierungsstatthalter im Kanton Basel und lernt hier
die Buchdrucker- und Buchhändlerfamilie Flick kennen. Wie er ein
Jahr später nach Aarau übersiedelt, versteht er es, sich mit
dem Mitarbeiter von Flick Heinrich Remigius Sauerländer so ins Einvernehmen
zu setzen, dass dieser später ebenfalls nach Aarau zieht und dort,
mit Hilfe Zschokkes, eines der grössten schweizerischen Verlagshäuser
gründet.
Eine Geschichte Basels unter medienspezifischen Aspekten ist noch nicht
geschrieben. Die denkbaren Schnittstellen von Basel mit der globalen
Mediengeschichte sind zum Teil wenig erforscht. Was einzelne Personen
und Personengruppen zur historischen Medienstadt Basel beigetragen haben,
ist häufig unbekannt. Für die neuen Medienwissenschaften gibt
es einiges aufzuarbeiten.
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