Wortlager / Markus Kutter
 
     

       

Inwiefern Basel eine Medienstadt war

 

Keine Medienwissenschaften ohne Mediengeschichte. Mediengeschichte wird dann am spannendsten, wenn man entdeckt, dass sich entscheidende Etappen dieser Geschichte in der eigenen Stadt und sogar an der gleichen Universität vollzogen haben, in der jetzt Medienwissenschaften und Mediengeschichte gelehrt werden.

Von Basel heute als einer „Medienstadt“ zu reden, ist mehr Postulat als Berichterstattung. Presse, Fernsehen, Film und weitere elektronische Medien haben ihre Schwerpunkte an anderen Orten; Basel verwaltet im besten Fall noch Teilbereiche. Das reicht nicht zur Qualifizierung als Medienstadt. Das gilt für die Gegenwart, doch in der Vergangenheit sah es anders aus. Die Erfindung, mit der man die sogenannte Neuzeit beginnen lässt, nämlich der Buchdruck, wählte Basel als eine der zwölf Pionierstädte, in denen das Werk Gutenbergs weiterentwickelt und in die Welt hinaus vermittelt werden sollte. Der Wagemut und die Eleganz, mit der sich Basel damals als Medienstadt etablierte, trug nicht nur geistig reiche Früchte, sondern schuf erheblichen Wohlstand.

Der Buchdruck aber ist – mediengeschichtlich gesehen – nur ein Phänomen unter vielen. Er sollte uns nicht den Blick auf ganz andere Entwicklungen verstellen. Es gibt Zeitpunkte und Umstände, da in der Art der Informationsvermittlung aus technischen und systembedingten Gründen plötzlich Verhältnisse entstehen, die zu neuen Verfahrens- und Verhaltensweisen führen. Das gibt Modernitätsschübe, deren Bedeutung sich meistens erst im Rückblick enthüllt.

Ich nenne sie hier mediengeschichtliche Schnittstellen – Schnittstellen zwischen verschiedenen Epochen, verschiedenen Nutzungsweisen und auch zwischen den Geräten und den sie benutzenden Menschen. An solchen Schnittstellen ist Basel historisch reicher, als man denkt. Die allgemeine Basler Stadtgeschichte ist durch Jahrhunderte sorgfältig aufgearbeitet: Christian Wurstisen, Daniel Bruckner, Peter Ochs, Markus Lutz, Rudolf Wackernagel, Andreas Heusler, Paul Burckhardt, René Teuteberg – aber über die Medien findet sich, mit Ausnahme des Buchdrucks, nicht allzuviel. Nicht weil sich wenig ereignete, sondern weil eine Stadtgeschichte aus medienspezifischen Gesichtspunkten erst geschrieben werden kann, nachdem sich Mediengeschichte als Disziplin im Bewusstsein verankert hat. Das geschah – die Geschichte des Buchdrucks noch einmal ausgenommen – erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, angeregt von Marshall McLuhan (1911-1980). Es ist also nicht verboten, die alte Druckerstadt Basel nach weiteren mediengeschichtlichen Schnittstellen abzufragen. Wer weiss, ob sich da nicht einige Themen für Lizentiats- oder Doktorarbeiten verstecken?


1. Warum ist Basel eine Humanistenstadt?

Rudolf Wackernagel sagte vom Humanismus: „Die Anfänge dieses Wesens in Basel sind uns nicht bekannt. Sie verlieren und verhüllen sich in tiefen persönlichen Erlebnissen.“ Humanismus als eine geistig-moralische Haltung, gelegentlich auch nur als ein intellektuelles Gehabe, lässt sich auf jeden Fall nicht denken ohne Kenntnis des Lateins und bald einmal auch des Griechischen. Er ist zugleich historisch orientiert, insofern er immer die Frage nach dem Herkommen stellt.

Die Statue des Lucius Munatius Plancus im Basler Rathaushof von 1580 ist ein (spätes) Dokument dieses humanistischen Weltverständnisses. Sie gilt dem Gründer von Augst, der Augusta Raurica, was sich aus einer Grabinschrift im italienischen Gaëta ablesen lässt. Die sachliche Merkwürdigkeit besteht darin, dass die Statue dieses Stadtgründers in einer Stadt steht, die mit der vom römischen Statthalter in Gallien gegründeten Stadt nicht identisch ist. Also muss sich schon vor 1580 ein Verständnis herausgebildet haben, nach dem Basel als Nachfolge- und Tochterstadt des römischen Augst zu gelten begann. Wie sie das wurde, warum sie es wurde, welche Kräfte da ins Spiel kamen, sind, um Wackernagel zu zitieren, unbekannt.

Suchen wir eine mediengeschichtliche Erklärung: Die zusammengefallene und durch Jahrhundert wieder vom Humus überwachsene, ursprünglich römische Veteranenstadt, die sich dann den über den Rhein nachstossenden Alemannen nicht länger erwehren konnte, war durch lange Zeiten so etwas wie ein Steinreservoir. Es war ein von Menschen angelegter Steinbruch. Wer nach schon zugeschnittenen Steinen suchte, fand sie am leichtesten in Augst. Häufig fand er sie mit Resten von Inschriften, Wort- oder Buchstabenfragmenten. Da Augst oberhalb von Basel lag und Steine schon im Mittelalter am liebsten auf Schiffen transportiert wurden, darf man sich so etwa wie einen Baumaterialtransport rheinabwärts vorstellen. Zu den „persönlichen Erlebnissen“ Wackernagels könnte es gehören, dass des Lesens kundige Leute ganz einfach wissen wollten, was auf diesen Steinen geschrieben stand. Also begannen sie Latein zu lernen. Das ist der Anfang des Humanismus in einem ganz praktischen Sinn.

Im Bereich des alten Humanistischen Gymnasiums und des Schulhauses zur Mücke am Münsterplatz befindet sich unter der Erde ein sogenanntes Lapidarium. Es ist ein Kellerraum, in dem römische Altertümer von durchschnittlicher Bedeutung gelagert sind; auf jeden Fall befinden sich unter ihnen auch aus Augst stammende römische Schriften. In dem Augenblick, da Basel als die Nachfolgestadt von Augst zu gelten begann und die Neugier wissen wollte, was auf den aus Augst herantransportierten Steinen geschrieben stand, sehen wir einen Wissensdrang am Werk, der die Tür zu einem humanistischen Weltverständnis öffnet. Und wir begreifen auch, weshalb die Majuskeln der römischen Capitalis im Buchdruck zur Antiqua wurden – möglicherweise auf dem Umweg über Venedig.

Ganz banal gesagt: Ohne die römischen Trümmer von Augst und die auf ihnen befindlichen Schriftfragmente wäre Basel nicht zu einer Stadt der humanistischen Gelehrsamkeit geworden. Das ist nicht zuletzt ein medialer Vorgang.

2. Medien brauchen eine Szene

Was meint der heute gebräuchliche Ausdruck „Szene“? Er meint eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft, aber von dieser durch ein paar Merkmale deutlich geschieden: Es sind jüngere, spontan agierende, andersartige Leute mit anderen Zielsetzungen. Sie wollen nicht in den etablierten Geleisen Karriere machen, kümmern sich nicht um politische Schaltstellen oder etablierte Wertvorstellungen. Sie kommen häufig von aussen, lassen sich an einem bestimmten Ort erst einmal vorläufig nieder, wollen schauen, was für Möglichkeiten sie entdecken. Sie wollen auch Geld machen.

Wir alle haben solche Szenen am Werk gesehen – die Filmszene, die Fernsehszene, die Computergrafikszene, die Internetszene, dazu die Jazz-, Pop- und Rockszene. Wir konnten beobachten, wie solche Szenen auf Umwegen oder im Direktlauf gesellschaftliche Anerkennung finden. Von da haben wir gelernt, dass die charakteristischen Merkmale einer Szene in der Anfangs- und Reifeperiode erheblich differieren.

Die mediengeschichtlich wichtigste Szene entwickelt sich um Gutenberg in Strassburg und Mainz. Der Übergang der Werkstatt Gutenbergs an den Geschäftskollegen Fust führte dazu, dass sich die Gesellen Gutenbergs im oberrheinischen Raum zerstreuten und mit ihrem Wissen Örtlichkeiten und Gesellschaftsräume progressiv infiszierten. Voraussetzungen für den Buchdruck waren die Techniken des Metallschnitts, des Gusses, des Baus von Pressen, des Papiers, des Einfärbens und einer frühen kapitalistischen Wirtschaftsweise. Kapitalistisch insofern, als Geräte, Lettern, Papier und der ganze Arbeitsaufwand vorfinanziert sein mussten, weil das fertige Produkt, eben das Buch, erst dann vermarktet werden konnte, wenn es abgeschlossen vorlag. Das brauchte Zeit. Diese Schwierigkeiten der Vorfinanzierung führten zu manchmal reichlich spekulativen Gesellschaftsgründungen mit Anteilen, über deren Wert die alten Druckherren heftig streiten konnten.

Den frühen Basler Buchdruck und seine Anfänge kennen wir aus einer neuen Publikation, in der die Standortfaktoren und ökonomischen Voraussetzungen für die Etablierung des Buchdrucks in Basel genau evaluiert werden. Wir wissen, dass dank Berthold Ruppel aus Hanau, Bernhard Richel aus Ehenwiler und Michael Wenssler aus Strassburg die Basler Buchdruckszene zwischen 1468 und 1473 begann. Ruppel war nachweisbar ein Geselle Gutenbergs in Mainz.

Die Diffusionszeit eines Mediums – denken wir an das Fernsehen oder an das Internet – von der technischen Reife bis zur Akzeptanz im Publikum liegt ungefähr bei 15 Jahren. Spätestens 1454 liegt bei Gutenberg das ausgereifte typografische Wissen vor. Aber schon 1471 inszenieren Druckergesellen in Basel einen ersten Streik, gegen den der Rat einschreiten muss. Denn diese Gesellen eines neuen Berufes sind dem Zunftwesen noch nicht unterstellt. Wie sie ihren Streik begründen, macht sie als eine Gruppierung ausserhalb der etablierten Gesellschaft kenntlich – sie bilden eben eine Szene. Wir dürfen sie als intellektuelle Handwerker und wissenshungrige Bastler verstehen, sicher führten sie auch ihre eigene Fachsprache.

Pierre Van der Haegen kommt das Verdienst zu, die Anfänge des Buchdrucks in Basel in jedem einzelnen Schritt nachgewiesen zu haben; die von Frank Hieronymus ausgearbeiteten Kataloge der frühen Basler Drucke lassen die Blüte der Druckkunst in Basel im 15. und 16. Jahrhundert in ihrer ganzen und fast bestürzenden Pracht erscheinen. Aus ihnen ist abzulesen, wie sich die anfängliche Typografenszene in die dominierende Stadtgesellschaft integrierte, doch wie sie sich qualitativ verwandelte, wäre noch zu erforschen.

3. Ein Datenmanager

Die Rede ist von Heinrich Pantlin, lateinisch Henricus Pantaleon, geboren 1522 und gestorben 1595. Er ist der Sohn eines zugewanderten Schneiders und beschliesst sein Leben als von Kaiser Maximilian gekrönter Dichter, Professor der Universität und Autor von auflagenstarken Büchern. Uns interessiert er hier als Verwalter von medialen Beständen und als Realisator neuer medialer Formen.

Sein Lebenslauf zeigt einen heftigen Wechsel zwischen Theologie, Medizin, einer Professur der Rhetorik und publizistischer Tätigkeit. Seine Karriere verfolgt er mit einem gewissen Opportunismus und weiss seine Vorteile zu nutzen. Dank Widmungen von Büchern krönt ihn Kaiser Maximilian zum „poeta laureatus“, mit welchem Titel die Erlaubnis als Notar zu handeln verbunden ist. Also sehen wir Pantaleon in seinen späteren Jahren Testamente indossieren.

Wichtig als Schnittstelle wird er durch seine Arbeit für die Universität oder besser: die Universitätsbibliothek. Um 1556 schliesst er seinen Catalogus Bibliothecae oder Ordo im Manuskript ab, das erhalten geblieben ist. Es ist das frühste oder eines der frühsten Verzeichnisse der universitären Bücherbestände. Der Zettelkasten als Ordnungsinstrument ist noch nicht erfunden, Pantaleon trägt die inventarisierten Bücher auf grossen Seiten ein. Er überlegt sich, wie die Bücherbestände überhaupt zu ordnen sind. Zuerst trennt er einmal Manuskripte und gedruckte Bücher, dann schafft er für die Bücher Gruppen (wir würden heute von files sprechen), die er mit Theologie, Jurisprudenz, Medizin und weiteren Disziplinen bezeichnet. Er stellt sich auch die Frage, welche Daten pro Buch in das Verzeichnis aufgenommen werden sollen, und entschliesst sich für Druckjahr, Autor, Werktitel, Druckoffizin. Eine Signatur kennt er noch nicht, aber es besteht kein Zweifel, dass seine Ordnung die zusammengewürfelten Bücherbestände der Universität erstmals deutlich gegliedert und damit verwaltungsfähig gemacht hat.

Sein Ehrgeiz und vielleicht auch ein wenig seine Eitelkeit haben ihn dann eine neue Art von Buch erfinden lassen. Es kam 1567 unter dem Titel „Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae“ und auf Deutsch als „Teutscher Nation Heldenbuch“ heraus. Schon diese Ausgaben in zwei verschiedenen Sprachen lassen vermuten, dass beide Bücher ein Absatzerfolg waren. Heute müsste man sie auf der einen Seite als historisch-biografisches Lexikon bezeichnen, eine modernere Definition wäre ein „Who ist Who“, also ein Buch über die Prominenten früherer Zeiten und der Gegenwart.

Wir wissen, dass Pantaleon in Basel sein Pferd sattelte und rheinaufwärts Richtung Österreich und Süddeutschland davonritt, um berühmte Zeitgenossen zu besuchen und über sie Daten zu sammeln, um daraus Kurzbiographien zu schreiben. Wir dürfen auch annehmen, dass die aufgesuchten Prominenten sich meistens erkenntlich zeigten, Public Relations sind nicht gratis.

Amerbach, Froben, Cratander, Oporin etc. waren klassische Basler Drucker, zugleich eben auch Verleger. Der eine bis zwei Generationen jüngere Pantaleon hingegen war eher ein Medienmann und ein Manager, der instinktiv begriffen hatte, dass mediale Botschaften auch verwaltet werden müssen. Viel Neues ist ihm dabei gelungen, aber manches ist auch missraten: Die Personenregister in seinem Heldenbuch sind merkwürdigerweise nach den Vor- und nicht den Nachnamen geordnet, so dass sich der Leser durch endlose Spalten von Heinrichen und Johannes durchquälen muss. Aber immerhin: Ohne Index wollte er sein Buch nicht publizieren.


4. Die Herstellbarkeit von Öffentlichkeit

1789 bricht in Frankreich und in Paris die Revolution aus. 1798 wird die Schweiz ebenfalls revolutioniert, aber zugleich von den Franzosen besetzt. Es gibt keine Untertanen mehr, keine privilegierten Familien, keine geistlichen Herrschaften. Dafür zum ersten Mal eine gesamtschweizerische Regierung. Basel ist der erste Stand in der Eidgenossenschaft, der das alte Regiment abschafft und den Bürgern auf der Landschaft die Gleichberechtigung gewährt. Nach der Abdankung der bisherigen Behörden wird im ganzen (noch ungeteilten) Kanton eine 60köpfige Nationalversammlung gewählt, die sowohl als Regierungskommission wie als Verfassungsrat tätig wird.

Es entsteht eine neue Art von Öffentlichkeit. Sie entsteht dadurch, dass die Nationalversammlung öffentlich tagt, das heisst, dass zum ersten Mal Leute von der Strasse in den Ratssaal sitzen und zuhören dürfen. (Der Ratshausdiener muss sich überlegen, wie er die gewählten Mitglieder vom Publikum trennt, er spannt einfach ein Seil.) Das Ergebnis der Debatten geht alle Leute etwas an, also ist es auch sinnvoll, wenn die Protokolle der Nationalversammlung gedruckt werden. Was braucht es dazu? Aufgeweckte junge Leute, die sich die Sachen notieren, und dann einen Drucker, der sie druckt. So wird, was der Rat beschliesst, jetzt öffentlich.

Früher waren die Ratsversammlungen immer geheim, es konnte auch noch „Hehl“ geboten werden, und das hiess, dass kein Mitglied des Rates den Verhandlungsgegenstand und die Entschlüsse weitergeben durfte. Jetzt aber, nach der Staatsumwälzung, sollten die Debatten frei zugänglich sein. Und so erschienen die Sitzungsprotokolle der Nationalversammlung als „Verhandlungen und Beschlüsse der konstituirten Baslerischen National-Versammlung“ im Druck, und wer sich für diese interessierte, konnte sie sogar abonnieren.

Hier interessieren die Drucker, ohne deren Mitarbeit diese neue und durchaus politisch verstandene Öffentlichkeit gar nicht hätte entstehen können. Es sind Johann Jakob Flick (1745-1818), Samuel Flick (1772-1833), Wilhelm Haas der Vater (1741-1800) und Wilhelm Haas der Sohn (1766-1838). In ihrem Umfeld finden wir den Kunstverleger und Kunsthändler Christian von Mechel (1737-1817), den Maler und Kupferstecher Marquard Wocher (1760-1830), der als der Grafiker gelten darf, der der Helvetischen Republik das Erscheinungsbild mit der Vignette des Tells und seines Sohnes schenkte. Auch das gehörte zur neuen Öffentlichkeit: dass die frisch gegründete Helvetische Republik von allem Anfang an über eine „Corporate Identity“ verfügen sollte, wozu noch die helvetische Trikolore mit den Farben grün-rot-gold gehörte.

Die fünf Jahre von 1798 bis Ende 1802 zeigen mediengeschichtlich eine völlig neue vielversprechende Situation. Vater und Sohn Flick sind letztlich jakobinisch gesinnte Drucker, deren Erzeugnisse nicht nur in Basel, sondern auch im Elsass und in Süddeutschland eine wachsende Rolle spielen. So stammt der erste „Entwurf einer republikanischen Verfassungs-Urkunde, wie sie in Deutschland taugen möchte“ aus der Offizin von Flick (und wurde erst in den sechziger Jahren von Heinrich Scheel an der Akademie der Wissenschaften der DDR publiziert). Die Stiche von Marquard Wocher zierten sämtliche offiziellen Dokumente der Helvetischen Republik. Vater Haas dagegen war mehr technisch interessiert und entwickelte die erste Druckerpresse aus Eisen. Haas der Sohn schuf Landkarten nach der typometrischen Methode, das heisst, dass Grenzen, Flüsse, Berge und Siedlungen mit vorfabrizierten typografischen Elementen aus dem Setzkasten dargestellt wurden. (Napoleon, zu dessen Leidenschaften es gehörte, Grenzen quer durch Europa gelegentlich über Nacht zu verschieben, schwärmte für diese typometrische Methode und lud Herrn Haas nach Paris ein.)

Die Lebenserinnerungen von Haas dem Sohn, die handschriftlich auf der Universitätsbibliothek als Eigentum der medienwissenschaftlichen Fakultät erhalten sind, zeigen die Weite des Horizontes, vor dem die damaligen Typografen in Basel technisch, organisatorisch und gestalterisch arbeiteten. Es war die Zeit einer eigentlichen Hochblüte, die dann wieder in einen Dämmerzustand versinken musste, als der erste Konsul Napoleon der Schweiz die Mediationsverfassung aufzwang, die aus der Einheitsrepublik abermals einen kantonalen Staatenbund machte. Die neu gewonnene und neu geschaffene Öffentlichkeit wurde schon dadurch zerstört, dass die Basler Behörden nach dem Ende der Mediationszeit feierlich beschlossen, dass in Basel überhaupt keine Zeitung mehr publiziert werden sollte. Da hatte es sogar Aarau mit dem „Schweizer-Boten“ von Heinrich Zschokke besser, und Zürich stand im Bann der „Neuen Zürcher Zeitung“.

5. Die Foto wird salonfähig

Wir sind im Jahr 1874. In den Salons ist die Foto schon akzeptiert; bekannte, berühmte und wichtige Leute lassen sich gern fotografieren. Dieses neue Bildmedium ist aus den Daguerreotypien seit den dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts herausgewachsen, nach 1850 taucht die eigentliche Fotografie auf, bei der von Negativen positive Bilder belichtet werden können.

Wir kennen einen Basler, der sich schon 1843 in Paris selber in einer Daguerreotypie abbilden lässt. Es ist geradezu versessen auf Fotografien, weil seine ganze Tätigkeit sich mit Bildern befassen muss. Er gilt sonst nicht gerade als der Inbegriff eines modernen Mannes, aber für Fotografien ist ihm jeder Kontakt willkommen. In Dornach bei Mülhausen gibt es einen Geschäftsmann Braun, der von Fotografien etwas verstehen soll, mit dem setzt er sich in Verbindung. In den grossen Kulturstädten wie Rom, Turin, London, Paris und Amsterdam etablieren sich seit der Mitte des Jahrhundert eigentliche Fotohändler, diese pflegt er eifrig. Bei seinem Schreiner lässt er sich Transportkisten konstruieren, in die sich Mappen mit Fotografien ablegen und dann versenden lassen.

Es gibt das berühmte Bild von Jacob Burckhardt vor dem Münster, die grosse Mappe (mit Reproduktionen) unter dem Arm. Burckhardts Nachfolger in der kunstgeschichtlichen Professur, Heinrich Wölfflin, hat beschrieben, wie Burckhardt sein fotografisches Material vor den Bänken stehend demonstrierte. Er hielt Blatt um Blatt an zwei Ecken, um dann nach geschehener Erklärung die Bilder zum Zirkulieren den Hörern in die Hand zu geben.

Diese stillschweigende Einführung der Fotografie in den universitären Unterricht gewinnt dann erst ihre ganze Bedeutung, wenn man sich Rechenschaft gibt, dass vorher Abbildungen von Kunstwerken in der Regel immer von Kupferstechern stammten. Mit Friedrich Weber (1813-1882) besass Basel einen solchen von internationalem Ruhm. Die Gattin Napoleons III., die Kaiserin Eugénie, fühlte sich von ihren Hoffotografen nie richtig bedient, erst ein Stich von Friedrich Weber mit ihrem Porträt fand Anerkennung. Für Burckhardt jedoch war die Authentizität sogar einer kontrastarmen Fotografie wichtiger als die Eleganz und Accuratesse eines Stichs. Und somit wurde der konservative Burckhardt zum ersten Fotopionier der Universität.

6. Radio ist angewandte Physik

Das Radiowesen in der Schweiz beginnt 1924 als Radio-Telegrafie und Radio-Telefonie. An ihrer Wiege oder ihrem Taufstein steht der Basler Hans Zickendraht (1881-1956). Ich habe ihn noch selber als Lehrer am Humanistischen Gymnasium erlebt; er fiel uns Schülern zur Zeit des Zweiten Weltkrieges durch seine gepflegten Gamaschen auf. 1940 schrieb Zickendraht einen Tätigkeitsbericht über die 25 Jahre Abteilung für angewandte Physik, die er leitete. Am Anfang befasste sie sich noch mit Aerodynamik, nach 1928 wendete sie sich den Schwerpunkten Nieder-, Mittel- und Hochfrequenzlehre zu, also der Radiotechnik.

Schon 1917 begannen die Arbeiten an einer eigentlichen Radiostation im Bernoullianum. Die Elektronenröhren lieferte eine Firma Klingelfuss. 1918 gelang die Übertragung von Tönen einer Musikdose, 1920 wurden von Basel aus radiotelefonische Gespräche mit einer Gegenstation in Neuenburg geführt. 1923 begann das Rundspruchwesen in der Schweiz Fuss zu fassen, obwohl noch keine Station zu senden begonnen hatte. Im Basler Zeughaus befanden sich die Sendemasten für den Flugplatz Sternenfeld, die Zickendraht zu nutzen verstand; ab 1924 folgten radiophonische Emissionen während der Mustermesse dank den 40 Meter hohen Antennen beim Physikgebäude an der Klingelbergstrasse.

Zickendraht war schon 1925 Mitglied der Union Internationale de Radiophonie, 1929 hielt er Referate am Kings College in London über die wissenschaftlichen Hintergründe des Radiowesens in der Schweiz. Zickendraht war als Sohn eines Musikers selber hoch musikalisch; er sah voraus, dass Musik der Hauptinhalt des Radios werden müsse.

Dank ihm spielte die Universität Basel bei der Einführung des Radios als neues Medium eine führende Rolle, wie sie es – vergleichsweise – beim Buchdruck gerade nicht gespielt hatte.

7. Das vorletzte neue Medium

Für den Telegrafen, für den Funkverkehr, für das Radio interessierten sich von allem Anfang an die Armee und die Bundesbehörden, und die Schweiz verfügte über Funk- und Radiogeräte, die im Land selber entwickelt worden waren. Beim Fernsehen war das nicht mehr der Fall; aus dem Blickwinkel des Militärs handelte es sich hier mehr um Filmtechnik und Theaterwesen. Nur die Schweizerische Rundspruchgesellschaft, die die Zuständigkeit für das Radio gewonnen hatte, wollte auch eine Fernsehgesellschaft werden.

Im TV-Bereich war die Schweiz eher ein Nachzügler. 1952 verfügten schon zahlreiche europäische Länder über eigene Fernsehprogramme. Die ETH Zürich führte Fernsehdemonstrationen durch, Lausanne richtete einen Experimentalbetrieb ein. Private Initianten und der Radiodirektor Fritz Ernst vom Studio Basel kämpften dafür, dass auch in der Region Basel ein Versuchsbetrieb aufgenommen wurde.

Bis 1935 hatte der Maschinenbauer BBC Lokomotiven in Münchenstein produziert, dann wurden Produktionsstätten im Raum Baden zusammengelegt. In die leeren Gebäude zogen die Kern-Film AG und die Tonfilm Frobenius AG ein. August Kern (1902-1996) stellte die Studios gratis zur Verfügung, von Philips kamen gratis Bild- und Tonsender sowie Verstärkeranlagen. Der Sendemast stand auf der Gempenfluh, wo eine Frau Vögtli sich um das Wohl der Techniker und Gäste kümmerte. Nicht weniger als 44 sogenannte Fernsehstuben wurden eingerichtet, in der Realschule Therwil, im Feuermagazin Muttenz, im Gaswerk Basel, in verschiedenen Gemeindehäusern, da es noch keine individuellen Fernsehzuschauer gab. Fritz Ernst leitete die Versuche, Programmleiter war Heiner Gautschy, der sich in New York das entsprechende Rüstzeug geholt hatte. Margrit Rainer und Ruedi Walter bestritten als Schauspieler grosse Teile des Programms.

Die Versuchsserie dauerte vom 18. Mai bis zum 12. Juli 1952. Die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft beschlossen zur Finanzierung des Versuchsbetriebes 50'000 und 20'000 Franken. In der Stadt ergriffen Studenten das Referendum gegen diese Beschlüsse, am 2. März 1952 wurden sie verworfen. Und das bedeutete, dass nach acht Wochen die privaten Mittel aufgebraucht waren. Ein anderer Versuchsbetrieb etablierte sich in Zürich und wurde mit mehrfach grösseren Mitteln von Seiten der Behörden unterstützt.

Was in Münchenstein bei Basel vor mehr als 50 Jahren produziert wurde, lässt sich nicht mehr studieren, da keine Aufzeichnungen gemacht wurden. Für diese Fernsehversuche interessierte sich keine Abteilung für angewandte Physik der Universität, und bei den Geisteswissenschaften wurde Fernsehen bestenfalls als eine aus Amerika stammende Modeerscheinung begriffen. Verglichen mit den Anstrengungen von Zürich und Genf war der politische Wille zur Realisierung des Fernsehens schwach; das Monopol der SRG verhinderte es, dass die damals noch zahlreichen Presseorgane überhaupt darüber nachdenken wollten, wie sich die Informationsarbeit in der Presse mit derjenigen der TV verbinden liesse.

Bis Verlagshäuser begriffen, dass Print, Radio und Fernsehen unter dem gleichen Dach gedeihen können, brauchte es noch einmal ein halbes Jahrhundert.

8. Noch ganz andere Schnittstellen

Die historische Medienstadt Basel hätte noch mehr zu bieten:

Mediengeschichtlich interessant sind die zur Konzilszeit in der Kartause deponierten griechischen Manuskripte der oströmischen Konzilsteilnehmer, die nachher in der Blütezeit des Buchdrucks ediert wurden.

Eine am Oberrhein auffällige Entwicklung ist das Aufkommen des Holzschnittes am Ende des 15. Jahrhunderts; Sebastian Brant findet in der Basler Szene für die Illustrationen seines „Narrenschiffs“ den jungen Albrecht Dürer.

Die Humanisten des 16. Jahrhunderts entdeckten, dass man mit gedruckten echten oder fingierten Briefwechseln gewisse Debatten entscheidend beeinflussen konnte.
Im 17. Jahrhundert finden wir in Basel den von Ludwig König (geb. 1595) gegründeten Grossverlag, der von seinem Sohn Emanuel und seinem Enkel Emanuel weitergeführt wird. Zum ersten Mal nimmt sich eine gelehrte Verlegerfamilie ganz bewusst der Trivialliteratur, der Koch- und Haushaltsbücher an.

Der aus Preussen stammende Heinrich Zschokke (1771-1848) wird im Herbst 1800 helvetischer Regierungsstatthalter im Kanton Basel und lernt hier die Buchdrucker- und Buchhändlerfamilie Flick kennen. Wie er ein Jahr später nach Aarau übersiedelt, versteht er es, sich mit dem Mitarbeiter von Flick Heinrich Remigius Sauerländer so ins Einvernehmen zu setzen, dass dieser später ebenfalls nach Aarau zieht und dort, mit Hilfe Zschokkes, eines der grössten schweizerischen Verlagshäuser gründet.

Eine Geschichte Basels unter medienspezifischen Aspekten ist noch nicht geschrieben. Die denkbaren Schnittstellen von Basel mit der globalen Mediengeschichte sind zum Teil wenig erforscht. Was einzelne Personen und Personengruppen zur historischen Medienstadt Basel beigetragen haben, ist häufig unbekannt. Für die neuen Medienwissenschaften gibt es einiges aufzuarbeiten.

 
© 2004 Markus KutterNach Oben