1892 umfasste die damalige Stadt Zürich
169 ha und zählte 28'099 Einwohnerinnen und Einwohner. Mit den Eingemeindungen
von 1893, der Stadtvereinigung mit insgesamt 11 Vorortgemeinden, nahm
der Stadtumfang Zürichs über Nacht auf 4499 ha und die Einwohnerzahl
auf 121'057 Personen zu. Es war ein Sprung in eine völlig andere
Grössenordnung. Eine zweite Eingemeindung fand 1934 statt, weitere
acht Vorortgemeinden schlossen sich der Stadt an und erhöhten ihre
Einwohnerzahl noch einmal um fast 50'000 Personen. Das Territorium der
Stadt Zürich stieg auf 8774 ha oder 87,74 km2.
In den meisten grösseren Städten der Schweiz wurden Ende des
19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Eingemeindungen vorgenommen. Die
Ausnahme war Basel, die Kantonstrennung von 1833 hatte schon den Gedanken
an mögliche Eingemeindungen undenkbar gemacht. Um 1890 war höchstens
eine Vereinigung von Riehen mit der Stadt noch ein Thema, das aber mit
der Entwicklung Riehens immer weniger aktuell wurde und übrigens
die kleine Anzahl der Landgemeinden im Stadtkanton weiter vermindert
hätte. Eine solche verschwand 1908, als Kleinhüningen mit der
Stadt vereinigt wurde. Es bleiben im Kanton Basel-Stadt nur noch zwei
Landgemeinden, beide rechtsrheinisch gelegen.
Die Beweggründe für Eingemeindungen in der Schweiz lagen auf
ganz verschiedenen Gebieten: Wenn einstige Vorortgemeinden baulich mit
der Stadt zusammenwachsen, wird es sinnvoll, Strassenbau, Tiefbauanlagen,
Verkehrserschliessungen unter einer einheitlichen Führung vorzunehmen.
Vereinheitlichte Polizeidienste, ein gemeinsames Schul- und Erziehungswesen,
gleiche Steueransätze und Gebühren werden in zusammengebauten
Gebieten funktionell vernünftig, vor allem wenn sonst die Kinder
auf der einen Strassenseite ein anderes Schulhaus als die Kinder auf
der anderen Strassenseite besuchen müssen. Ein einheitliches Baugesetz
ist aus gewerblichen und ästhetischen Gründen nötig; die
Versorgung und Entsorgung des ganzen Gebietes lässt sich rationeller
organisieren. So war ein blosser Machtzuwachs im Hinblick auf ein grösseres
kommunales Territorium und höhere Einwohnerzahlen weniger das ausschlaggebende
Motiv, auch wenn das in der Öffentlichkeit manchmal so dargestellt
wurde.
Basel kann nicht eingemeinden
Dem kleinsten Kanton der Schweiz Basel-Stadt blieben diese Möglichkeiten
der Eingemeindung der Kantonstrennung wegen versperrt. Dazu kam als baslerische
Besonderheit die Tatsache, dass mit der Stadt ebenfalls zusammenwachsende
Vororte wie Weil-Friedlingen, Lörrach-Stetten oder St-Louis nicht
nur in anderen Kantonen, sondern in anderen Nationalstaaten liegen. Grenzüberschreitende
Planungen, etwa für die Aktivierung der Wohnlagen am Rhein unterhalb
der heutigen Stadt, sind nicht möglich, weil in den Nachbarländern
die Kompetenzen zwischen Gemeinden, Landkreisen und Departementen völlig
anders verteilt sind.
Der weitaus kleinste und zugleich am dichtesten besiedelte Kanton der
Schweiz, eben Basel-Stadt, führt in der städtebaulichen Realität
und in den statistischen Daten zu zwei sehr verschiedenen Bildern. Die
Grenze zwischen der Stadtgemeinde Basel und Allschwil ist praktisch kaum
mehr sichtbar, dasselbe gilt für Binningen und – etwas weniger – für
Bottmingen; Birsfelden ist so durch die Birs von der Stadt getrennt,
wie das einst Kleinhüningen durch die Wiese war. Der nördliche
Teil der Gemeinde Münchenstein gehört baulich ebenfalls mehr
zur Stadt als zur früheren Dorfgemeinde. (Das kann auch für
Weil-Friedlingen gelten, das eher zu Basel als zum alten Dorf Weil zu
gehören scheint.)
Der Kanton Basel-Stadt zählt 3695 ha, die eher nur theoretisch
sichtbare Stadtgemeinde Basel beansprucht davon bloss 2385 ha. Die mit
der Stadt fest oder weitgehend zusammengewachsenen Vorortgemeinden Allschwil,
Binningen, Birsfelden, Bottmingen, Münchenstein umfassen zusammen
3604 ha, also sogar ein bisschen mehr als der Grundbesitz der eigentlichen
Stadtgemeinde. Das sind etwas über fünf Prozent des gesamten
Gebietes des Kantons Basel-Landschaft, das 51'755 ha umfasst, also 14
mal grösser als Basel-Stadt ist.
Die Bevölkerungszahlen geben ein analoges Bild: Ende 2002 zählte
der Kanton Basel-Stadt 188‘000 Einwohnerinnen und Einwohner, von
denen etwas über 166'000 in der Stadtgemeinde selber wohnten. Der
Kanton Basel-Landschaft zählte 265‘500 Einwohnerinnen und
Einwohner, von denen 60'650 in den Stadtvororten Allschwil, Binningen,
Birsfelden, Bottmingen und Münchenstein wohnten. Der Kanton Basel-Stadt
würde also mit den mit der Stadt vereinigten Vororten statt nur
188'000 Einwohnerinnen und Einwohner 248‘650 Personen zählen,
käme fast an die Einwohnerstärke von Basel-Landschaft heran.
Stadt oder Agglomeration?
Fliegt man über Basel hinweg ist das Bild der Stadt dasjenige einer
grossen Agglomeration, die unregelmässig dicht ganz verschiedene
Vororte an sich heranzieht. Die Stadtagglomeration bildet sich am intensivsten
auf der Südseite der Stadt aus, wo überbaute Flächen weit
in einzelne Täler hineinragen. Auf der Nordseite fallen im Bild
aus der Luft die zum Teil intensiv genutzten Verkehrsflächen auf,
vom Flughafen in Blotzheim über die Geleiseanlagen der Deutschen
Bahn bis zu den Hafenanlagen oberhalb von Basel. Je nachdem, wie gross
man den Radius wählt, leben in der grösser verstandenen Region
Basel um die 400'000 Einwohnerinnen und Einwohner. In blossen Zahlen
ist merkwürdig dabei, dass die Stadtgemeinde Basel mit nur 166'000
einwohnenden Personen die Zentrumsfunktion für dieses grosse Gebiet
mit wesentlich mehr Einwohnern übernehmen muss. Die Stadtgemeinde
leidet demografisch an Personengruppen, die aus Alters- oder Einkommensgründen
in ihrer Mobilität reduziert sind, während gut verdienende
Stadtbewohner noch immer auf die Landschaft ziehen und sich Eigenheime
bauen. Blutet die Stadt Basel aus?
Die eingeschnürte Stadt
Man muss sich darüber klar werden, dass die räumliche Dispositionsfreiheit
des Gemeinwesens Stadt Basel äusserst limitiert ist, wesentlich
neue Entwicklungen sind nur noch auf wenigen Restarealen möglich.
Hier bietet sich in erster Linie der Landbesitz der deutschen Bundesbahn
im Norden an, der jetzt zu einer neuen Quartierplanung geführt hat.
Noch ist nicht absehbar, was hier für ein Stadtteil entstehen soll.
Eingemeindungen von Vororten als einen Machtzuwachs der Stadtgemeinde
zu betrachten, ist eine vom Publikum leicht und gern übernommene
Perspektive. Es heisst dann einfach: Die Stadt möchte wachsen, damit
sie sich auch fiskalisch besser stellt und in ihrem Gewicht unter den
grossen Städten der Schweiz zunimmt. (Basel hat erst vor kurzem
den Rang der zweitgrössten Schweizer Stadt an Genf verloren.) Die
Opposition zu solchen Stadterweiterungen beruft sich dann gern auf die
bisherige und in der Sache sogar erwünschte Selbständigkeit
der Vorortgemeinden. Es wird als positiv empfunden, dass der immer dichter überbauten
Stadt selbständige Vorortgemeinden mit eigenen Verwaltungen und
einem gesunden Selbstbewusstsein gegenüberstehen. Aber weil sie
in einem anderen Kanton liegen, braucht man sich über die Möglichkeit
eines Anschlusses an die Stadt Basel nicht weiter den Kopf zu zerbrechen.
Was man übersieht, sind die dadurch entstehenden Zwänge für
die Stadt selber. Da hilft wieder der Blick auf Zürich als auffallendstes
Beispiel: Grosse Dienstleistungszentren sind zum Beispiel in Zürich-Altstetten
entstanden. Das Fernsehen DRS und die frühere Messe Zürich
sitzen in Zürich-Oerlikon. Zürich-Enge hat sich zu einem Stadtquartier
von markanter Eigengesetzlichkeit entwickelt. Die Erweiterungsbauten
der ETH Zürich liegen auf dem Gebiet einer früheren Vorortsgemeinde.
Die Beispiele liessen sich vermehren und bringen eine Sache klar zum
Ausdruck: Die Erweiterungen der Stadtgemeinde haben sie in die Lage versetzt,
neue Institutionen und Betriebsstätten an den einstigen Stadtrand
zu verlegen, ohne sie in andere Gemeinden mit einer anderen Fiskalität
auszulagern.
Man muss diesen Sachverhalt auch einmal in blossen Zahlen definieren.
Die Stadtgemeinde Basel verfügt über ein Territorium von 2385
ha. Das vergleicht sich mit anderen Schweizer Städten wie folgt:
Zürich 8774 ha, Genf 1586 ha, Bern 5161 ha, Lausanne 5477 ha und
St. Gallen 3938 ha. Würden Bern, Lausanne und St. Gallen ihr kommunales
Territorium so dicht erschliessen wie die Stadt Basel, würden sie
ihr den Rang bevölkerungsmässig ablaufen. Gemessen an ihrer
geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung ist die Stadtgemeinde Basel
geradezu beängstigend klein. Sie steht unter dem Zwang, Land dem
Wohnungsbau zu entziehen, um es für den institutionellen Ausbau
zur Verfügung zu stellen. Dabei gerät sie in die problematische
Nähe der Kantonsgrenze, wie sich das im Sportzentrum St. Jakob erkennen
lässt, bei dem die Aufteilung von Eintritten sowie Gebühren
und der Polizeikosten zu komplizierten Debatten führt. Die Universität
ist aus alter Gewohnheit auf den eigentlichen Stadtbann angewiesen; dass
sie neue Institute zum Beispiel in Binningen (wenn es ein Teil der Stadt
wäre) ansiedeln könnte, steht nicht zur Diskussion. Eine auffällige
Entwicklung macht das Quartier des Dreispitzes mit, auf dem die Kantonsgrenze
mitten durch das Areal läuft. Von der topografischen Lage und der
Verkehrsanbindung her betrachtet, wären diese nördlichen Gebiete
der Gemeinde Münchenstein eine geradezu ideale Stadterweiterung,
wie sie sich in ersten Akzentsetzungen – etwa dem Schaulager – bemerkbar
macht. Die Architekten Herzog und de Meuron sind der Meinung, dass die
Entwicklung des Dreispitzareals und des nördlichen Teilgebietes
von Münchenstein sogar eigentliche Hochhäuser aufnehmen könnte.
Aber wie sollen jetzt solche Planungsvorhaben zwischen einer vom kantonalen
Regierungsrat verwalteten Stadtgemeinde und einer ausserkantonalen Vorortgemeinde überhaupt
an die Hand genommen werden?
Das Beispiel des 1908 mit der Stadtgemeinde Basel vereinigten Kleinhüningens
ist lehrreich. Natürlich bedeutet die Aufgabe einer kommunalen Autonomie
auch einen realen politischen und sozialen Verlust. Aber absehbar war
schon im 19. Jahrhundert, dass das kleine Dorf auf der anderen Seite
der Wiese mit der Entwicklung der Rheinschifffahrt eine neue Funktion
bekommen musste. Als selbständiges Dorf und (nach dem Beispiel von
Riehen) so weitgehend wie möglich unabhängig von Basel hätte
die Transformation Kleinhüningens zu einer eigentlichen Hafenstadt
gar nicht stattfinden können. Vom Ende des 19. bis in die Mitte
des 20. Jahrhunderts hat sich im Kleinhüningen genannten Stadtteil
von Basel eine sehr spezifische soziale Struktur der Hafenarbeiter und
der Chemiearbeiter entwickelt, die sogar grossstädtische Merkmale
aufwies. Heute beginnt sie zu verblassen, zugleich stellt sich häufiger
die Frage, ob die nicht mehr so stark frequentierten Hafenanlagen nicht
auch für ganz andere Zwecke herangezogen werden könnten. Die
gemeinsame Bewirtschaftung der Häfen von Kleinhüningen und
Birsfelden ist heute ein sich über Jahre hinschleppendes Problem
von höchster partnerschaftlicher Komplexität. Wäre Birsfelden
nach dem Muster von Kleinhüningen ein Stadtteile von Basel, wäre
diese Zusammenlegung vermutlich schon längst abgeschlossen.
Gibt es Alternativen?
Die partnerschaftlichen Bemühungen der beiden Halbkantone Basel-Stadt
und Basel-Landschaft sind alles andere als krisenresistent. Bei ernsthaften
Belastungen finanzieller Natur scheint der partnerschaftliche Wille sofort
wegzuschmelzen, und die sachlichen Probleme etwa der Universität,
der Medizinischen Fakultät, der gemeinsamen Spitalplanung, der Kulturfinanzierung
etc. bleiben unerledigt. Dass im Kanton Zürich der Kanton die Oper,
die Stadt das Schauspielhaus trägt, kann für Basel kein Modell
sein. Das städtische und betriebswirtschaftliche Kuriosum, dass
auf dem Basler Stadtboden Trambahnen in verschiedenen Farben durcheinander
unter verschiedenen Verwaltungen fahren, scheint auf eine beliebige Dauer
angelegt.
Die unterdessen 170 Jahre alte Kantonstrennung der beiden Basel ist
ein Faktum, das politisch heute – und wahrscheinlich noch lange
nicht – aus der Welt geschafft werden kann. Die ebenfalls seit
170 Jahren verunmöglichten Eingemeindungen schnüren seit dem
Anfang des 20. Jahrhunderts die Stadt Basel zunehmend ein. Sie möchte
grösser werden, aber kann es nicht. Für wachsende Institutionen
zentraler und ausgesprochen städtischer Natur hat sie immer weniger
Raum, oder sie muss ihn der langsam schwindenden Bevölkerung wegnehmen.
An den stetigen Verlust von Steuersubstrat scheint sie sich schon gewöhnt
zu haben.
Das Ergebnis ist ein Bedeutungsverlust, der sich jetzt auch auf die
ganze Agglomeration auszuweiten beginnt. Wirtschaftlich ist diese schweizerische
Grossagglomeration unerwartet erfolgreich und konkurrenzfähig; im
politischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und geistigen Gewicht
aber nimmt sie ab. Basel und die ganze Nordwestschweiz sind eine Art
Aussenposten der mittelländischen Schweiz geworden; die Universität
Basel liegt im Vergleich zu anderen Hochschulen zurück, der nördlich
vom Jura dominierenden Basler Zeitung gelingt der Sprung ins Mittelland
nicht, investitionsfreudigen Bauherren kann die Stadt immer weniger Möglichkeiten
vorschlagen. Im Lichte solcher Verschiebungen nimmt der Gegensatz von
selbstbewusster Vorstadtgemeinde zur etwas gedemütigten Stadt Basel
weiter ab, da entsteht kein zukunftsversprechender Dialog.
Einfach gesagt: Alternativen sind nicht in Sicht. Auf einen Gesinnungswandel
im Nachbarkanton zu hoffen, ist kein guter Rat. Von einem EU-Beitritt
der Schweiz Veränderungen dieser Verhältnisse zu erwarten,
ist für die absehbare Zukunft illusorisch, so faszinierend eine
EU-Erweiterung Basels (zum Beispiel im Trambahnnetz, in der Flughafenanbindung,
im Huckepack-Verkehr oder in der Spitalplanung) sein könnte.
Das Stichwort „Eingemeindungen“ kommt schon seit sehr langer
Zeit im Stadt-Land-Dialog nicht mehr vor. Es ist ein eigentliches Reizthema
und wird sofort als Ausdruck des städtischen Machtanspruchs, wenn
nicht sogar der Arroganz, interpretiert. Das wird auch mit diesem Text
passieren, obschon es nur darum ging, die Stadt Basel und ihre Entwicklungsmöglichkeiten
einmal im Vergleich zu anderen Schweizer Städten darzustellen. Die
Leute in der Stadt können die Situation nicht ändern; die Leute
auf der Landschaft wollen es – mehrheitlich – nicht.
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